Neulich hatte ich auf Twitter einen ärgerlichen Wortwechsel mit Hadmut Danisch (im Folgenden HD). Ich nehme dies zum Anlass, ein paar Probleme zu diskutieren, die ich mit seinen Standpunkten habe. Zunächst Konkreteres zu den Gründen für diesen Text.
1.) Ich halte HDs Verwaltungsgerichtsklage in Sachen Gender Studies an der HU Berlin weiterhin für eine im Prinzip großartige Sache, und ebenso vieles andere, was er tut und schreibt. Deshalb hatte ich mich bemüht, ihn bzw. sie (also die Klage) zu unterstützen und wollte das eigentlich auch weiterhin tun. Leser haben mich auch dazu ermuntert. Seine Reaktion auf meine Kritik hat nun aber noch einmal die inhaltlichen Differenzen deutlich gemacht, die ich durchaus vorher schon gesehen habe, aber bis dahin zugunsten unserer gemeinsamen Ablehnung des Genderismus ignorieren wollte. Nachdem ich mich nochmal eingehender bei ihm umgesehen habe und sich durch den Twitter-Dialog mein Eindruck verstärkt hat, dass eine Verständigung schwierig bis unmöglich ist und das, was ich bei ihm nicht mittragen kann, allem Anschein nach weitergehen wird, halte ich es für sinnvoll, dazu meine Position deutlich zu machen. So kann ich in Zukunft hierauf verweisen, was besser ist als komplett auf \ignore zu schalten. Vielleicht enthält das Folgende auch unabhängig von Meinungsverschiedenheiten bestimmter Blogger ein paar Anregungen zum Nachdenken und/oder Nachlesen.
2.) Die Differenzen betreffen vor allem wissenschaftliche Fragen, genauer gesagt wissenschaftstheoretische Fragen, die aber mit politischen und kulturellen verbunden sind. Man kann es darauf runterbrechen, dass er einen nach meiner Auffassung irrationalen Hass auf und unbegründete Pauschaulurteile gegen Sozialwissenschaftler verbreitet, während ich, was manche sich vielleicht schon gedacht haben, einen sozialwissenschaftlichen Bildungshintergrund habe. Allerdings geht es nicht nur um Sozialwissenschaftler, denn wenn eine Karikatur von diesen zusammen mit ebenso stereotyp gedachten 68ern, Linken, Grünen, Journalisten, Genderisten, korrupten und nichtsnutzigen Akademikern und ich weiß nicht wem noch zum Adressaten einer innergesellschaftlichen Feinderklärung gemacht wird, vielleicht sogar so getan wird, als steckten sie alle unter einer Decke, nimmt das eine demagogische Qualität an und hat nichts mehr mit rationaler Wissensgewinnung oder einer Auseinandersetzung mit nachprüfbaren Tatsachen zu tun. Es ist seltsam, so etwas bei ihm zu finden, weil er selbst einen m.E. sehr guten Beitrag darüber geschrieben hat, dass die Ausbreitung von Wissenschaftsfeindlichkeit gefährlich ist. Leider wirft seine Praxis der Pauschalverurteilungen aus meiner Sicht auch einen Schatten des Zweifels auf die Informationen in seinen Texten, denn wenn ich nach seinem Blog gehe, ist ein Urteil von ihm, dass etwas nur „Geschwafel“ o.ä. sei, nicht vertrauenswürdig, weil solche Urteile dort in anderem Zusammenhang oft nicht begründet und nicht zutreffend sind. (Ich bestreite nicht, dass es in den Sozialwissenschaften viel Geschwafel gibt. Aber ich lehne es ab, ein Fach ausschließlich an dem Schlechtesten zu messen, was es hervorbringt, und ich bezweifle umgekehrt stark, dass jede Diplomarbeit in Mathematik, Informatik usw. Gold ist. HD weiß seinen Büchern zufolge eigentlich am besten, dass das nicht der Fall ist.)
Ich hatte bei der Einrichtung dieses Blogs spontan die Tagline What about teh common senz gewählt, weil meine Motivation nicht primär eine männerrechtsaktivistische oder antifeministische war, sondern mir in der relativ kurzen Zeit, in der ich mich, ausgelöst durch die Fäkalienunwetter um #OMG13gate (sic), mit Feminismus befasst hatte, vor allem dessen Irrationalismus, Dogmatismus, intellektuelle Mangelhaftigkeit und unredliche Formen der Auseinandersetzung sauer aufgestoßen waren und mich massiv überrascht und erstaunt hatten.
Im Ergebnis mögen meine Positionen „maskulistisch“ sein, aber aus meiner Sicht vertrete ich keine Partikularinteressen, sondern Selbstverständlichkeiten. Ebenso wie etwa Arne Hoffmann, Lucas Schoppe oder Christian Schmidt. Auch ohne langes Studium des Feminismus muss man aus meiner Sicht eher dieser Seite als der feministischen Recht geben, einfach weil diese Leute sauber argumentieren, ihre Behauptungen begründen und belegen und niemanden unter der Gürtellinie angreifen. Es geht mir um Selbstverständlichkeiten aufgeklärten Denkens und rationaler Auseinandersetzung, immer unter der politischen Maxime der Durchsetzung der Menschenrechte, einer liberalen Gesellschaft und einer möglichst hohen Lebensqualität für alle. Während ich HDs Feminismuskritik weitgehend zustimme und sein Engagement beeindruckend finde, steht sein Irrationalismus in direktem Widerspruch zu den Prinzipien, von denen achdomina in erster Linie motiviert war. Es passiert allzu oft, dass man alle allgemeinen Wahrheits- und Anstandsprinzipien, die einem eigentlich bekannt sind, in den Wind schlägt, nur weil es gerade gegen den richtigen Feind geht. Deswegen bleiben Grabenkämpfe aller Art so oft in gegenseitigem Bewerfen mit Einseitigkeiten stecken und kommen in der Sache keinen Schritt weiter. Für jeden, der etwas lernen will, ist es Zeitverschwendung, sich daran zu beteiligen.
3.) „Wissenschaftstheoretische Fragen“ – das klingt sehr speziell und vielleicht egal, weil „nur“ theoretisch. Es geht aber darum, woher wir unser Wissen nehmen und unter welchen Bedingungen etwas als sicher gelten kann, und solange das nicht geklärt ist, kann jeder alles behaupten. HDs Hinweis, dass der Genderismus gezielt und bewusst die wissenschaftliche Rationalität untergräbt, ist richtig. Man kann es am Beispiel des Vortrags der Verfassungsrichterin Susanne Baer nachvollziehen, der seiner Klageschrift angehängt ist. Sie sagt, kurz gefasst, dass die herrschenden wissenschaftlichen Qualitätskriterien Konstruktionen sind (was richtig ist, aber nichts über ihre Eignung zur Wissensgewinnung aussagt), die man überwinden müsse, und sich wissenschaftliche Qualität schon irgendwie von selbst herstellen werde, wenn nur im Wissenschaftsbetrieb mehr Gleichheit herrschte. Eine irrationale Annahme. Wieso sollte mehr Gleichheit Qualitätskriterien entbehrlich machen? Nebenbei bemerkt ist dieser Standpunkt auch unfreiwillig frauenfeindlich, weil er annimmt, dass Frauen nicht in der Lage seien, die etablierten Kriterien anzuwenden, und dass die Wissenschaften sich in Selbsterfahrungsgruppen verwandeln müssten, damit Frauen daran teilnehmen könnten.
Da sind wir uns wohl einig. Mein Problem ist aber, dass HD seinen eigenen Irrationalismus pflegt. Er befördert ebenfalls Beliebigkeit in der Wissenschaft, eine Ersetzung rationaler Wahrheitskriterien durch subjektives Bauchgefühl, nur an anderer Stelle und auf andere Art. Beide, er und Genderismus, nehmen für sich in Anspruch, einen wissenschaftlichen Standpunkt zu vertreten, aber beide gründen diesen Standpunkt auf ihren Partikularinteressen, Neigungen und Intuitionen. Das ist irrational in dem Sinn, in dem ich im Folgenden den Begriff der Rationalität auch gebrauche: Eine Aussage ist rational, wenn sie für andere vernunftbegabte Wesen, und nicht nur für Glaubensbrüder/-schwestern, nachvollziehbar begründet ist. Das heißt, die Gründe müssen erst einmal überhaupt genannt werden und dann auch einsehbar, nachprüfbar sein.
Was bisher geschah
Um der Transparenz willen hier zunächst der Twitter-Dialog. Ich sagte:
Sehr bedauerlich, dass @Hadmut Danisch nichts gegen die Rechten in seinen Kommentarspalten unternimmt.
Darauf folgte:
Ich kann nachvollziehen, wenn man meint, dass die von mir zitierten Fetzen nicht eindeutig genug sind, um die Bezeichnung „Nazisprech“ zu rechtfertigen. Diese ist natürlich zugespitzt und war von mir auch nicht dazu gedacht, auf die Goldwaage gelegt zu werden. Besonders die Bedeutung von „muss gründlich aufgeräumt werden“ hängt natürlich davon ab, womit derjenige aufräumen will (dazu siehe unten). Nach der Stoßrichtung des gesamten Kommentars aber scheint mir mit „politisch unkorrekte Blogs“ durchaus ein ganz bestimmtes politisch unkorrektes Blog gemeint zu sein (google it). Und auch wenn nicht, ist es nun mal meist eine bestimmte politische Ecke, in der man sich „politische Unkorrektheit“ auf die Fahnen schreibt, und wenn jemand meint, mit den Blogs aus dieser Ecke sei man auf einem „guten Weg“ (siehe unten), dann ist die Positionsbestimmung recht eindeutig, und ich will damit nichts zu tun haben.
Ich sehe political correctness in Deutschland nicht als ein wirkliches Problem an. Wenn gefordert wird, einen bestimmten Ausdruck zu gebrauchen oder nicht zu gebrauchen, dann überlege ich, ob ich diese Forderung sinnvoll und berechtigt finde. Wenn ja, übernehme ich den vorgeschlagenen Sprachgebrauch, wenn nicht, nicht. Wo ist das Problem? Wenn ich nun unbedingt „Zigeunersoße“ schreiben wollte, könnte ich das doch tun. Manche würden sich beschweren, aber sonst hat ein Blogger doch auch nicht die Erwartung, dass die ganze Welt gut findet, was er schreibt. Und vor allem unterstellen die Leute, die anderen political correctness oder ein Einknicken vor ihr vorwerfen, dass die Gegenseite sich einem Sprachdiktat beugt und das eigene Denken zensiert. Diese Unterstellung ist oft falsch. Wenn man bei mir das Wort „Neger“ nicht findet, liegt das nicht daran, dass ich mein Bedürfnis, „Neger“ zu schreiben, unterdrücke, sondern daran, dass ich ein solches Bedürfnis nicht habe.
Da man jedenfalls bei Twitter nicht mehr als Fetzen zitieren kann, fand ich die Unterstellung nicht besonders fair, ich würde wie ein pawlowscher Hund auf einzelne Wörter und Redewendungen reagieren und wäre nicht in der Lage, einen Textinhalt zu erfassen, und ich würde Wörter „verbieten“ wollen, obwohl ich gerade gesagt hatte, dass ich nicht auf Sperren hinauswill. Weil mich diese unfreundliche Nullantwort geärgert hat, habe ich mit dem untersten Tweet die Klappe zugemacht, es mir dann anders überlegt und noch ein paar Erklärungen hinterhergeschickt. Auf die kam keine Antwort mehr.
Inzwischen hat HD eine Moderationsnotiz in den fraglichen Kommentar eingefügt, weil darin Susanne Baer als „Verbrecherin“ bezeichnet wurde. Das hatte ich nicht zitiert, aber es gehört und passt zum Gesamtbild, das dieser Kommentar abgibt. Er lautet:
> Was das System aber als Versuch der Beseitigung der verfassungsgemäßen Ordnung oder so verfolgen würde.
Hihi. Ein System, das sich schon lange nicht mehr an die verfassungsgemäße Ordnung hält, will andere wegen “Beseitigung” verfolgen.
Eine neue Partei zu gründen, das haben schon viele versucht. Unser Parteiensystem ist so ausgelegt, daß neue Parteien keine Chance haben.
Wir müssen das Volk zum Aufwachen bringen!
Im Internet sind wir schon auf einem guten Weg. Es gibt politisch unkorrekte Blogs, und wer sie liest, fängt an, nachzudenken.Aber: Diese Seiten erreichen nur wenige Prozent des Volkes!
Die große Mehrheit des Volkes weiß noch nicht einmal, daß wir [Anmerkung vom Blog-Admin: Mäßige Deine Worte. Verbrecher ist, wer wegen einer Straftat verurteilt – oder mindestens ihrer stark verdächtig – ist. Rechtsbeugung ist zwar nach § 339 StGB mit mindestens einem Jahr Gefängnis belegt, aber so lange ich noch in der Aufklärung des Ganzen bin, halte ich das für einen Ticken verfrüht. Zumal man nur dann Verbrecher sein kann, wenn man auch schuldfähig ist. Und den Punkt will ich mal noch offen lassen.]eine Verbrecherin am Bundesverfassungsgericht sitzen haben.Der Genderismus ist einigermaßen durchschaut, aber die Wurzeln, die in den 68ern liegen, müssen noch aufgearbeitet werden. Genderismus ist nur die Fortsetzung von dem, was damals mit “Pädagogik” und “Soziologie” begann.
Die 68er-Nachfolger, die Grünen, sitzen heute in den Schulen und Hochschul-Lehrstühlen, indoktrinieren unsere Kinder und bilden unsere Lehrer aus.
Auch da muß gründlich aufgeräumt werden.Jetzt geht es aber erstmal daran, die breite Masse zu erreichen.
Ich halte das für rechtes Zeug, rechte Feindbilder, rechten Bluthochdruck, rechtes Verschwörungsdenken. Kein Grund, Katastrophenalarm zu geben oder in Panik zu geraten, aber man kann doch einfach in einem eigenen Kommentar zu Protokoll geben, dass man dem nicht zustimmt. Dafür reicht eine Zeile, man setzt damit Standards für künftige Kommentare und niemand braucht über Verbote oder Zensur zu fantasieren.
Korrelation und Kausalität – hätten Sie’s gewusst?
Es ist natürlich kein Zufall, was für Kommentare in einem Blog auflaufen, und dieser hat eine inhaltliche Schnittmenge mit HDs Beiträgen. Ein aktuelles Beispiel:
Eine Korrelation ist noch keine Kausalität…
…sag ich immer. Wäre ich jetzt aber Soziologe, Politologe oder Journalist, dann hätte ich jetzt ganz „wissenschaftlich” herausgefunden, warum U-Bahnen in Singapur sauber und in Berlin dreckig sind. Wenn ich das vorhin richtig gesehen habe, fahren die U-Bahnen in Singapur fahrerlos.
Damit lässt sich ohne weiteres eine enorme Statistik aufstellen, wenn man die U-Bahnen in Berlin und Singapur danach untersucht, wie sauber sie sind und ob Fahrer drinsitzen. Damit lässt sich eindeutig belegen, dass der Dreck in der U-Bahn hochgradig damit korreliert, ob es einen Fahrer gibt. Und für Soziologen und sonstige wissenschaftlich nicht durchtrainierte Statistik-Spinner wäre damit ja klar, dass darin der Beweis liegen muss, dass der Dreck in der U-Bahn eindeutig von den Fahrern und nicht von den Fahrgästen verursacht worden sein muss und die Lösung des Dreckproblems darin liegt, die Berliner U-Bahnfahrer zu feuern. Denn genau nach diesem Schwachsinnsmuster lesen sie ihre Statistiken ja sonst auch immer.
[…]
Quatsch. Tun sie nicht. Was hier verspottet wird, ist ein Strohmann.
HD reitet häufiger darauf rum, dass eine Korrelation keine Kausalität ist. Das ist natürlich richtig, aber die Behauptung, dass Sozialwissenschaftler das nicht wüssten, ist völlig bizarr. Das wäre etwa so, als ob ein Mathematiker den Unterschied zwischen Multiplikation und Addition nicht kennte. Es ist eine Trivialität des ersten Semesters. Man wird in jedem Vorlesungsverzeichnis eine Einführung in Methoden der quantitativen Sozialforschung finden, wobei der genaue Veranstaltungstitel natürlich variieren kann.
Das ist so trivial, dass man auch die Begriffe „Korrelation“ und „Kausalität“ gar nicht braucht, um es zu verstehen. Man stelle sich vor, ein durchschnittlicher Achtklässler bekäme zum Beispiel Zahlen vorgelegt, die besagen, dass Alkoholiker überdurschnittlich oft auch Raucher und Raucher überdurchschnittlich oft auch Alkoholiker sind. Würde er nicht nach spätestens zwei Minuten Nachdenken darauf kommen, dass er jetzt noch nicht weiß, ob das Rauchen bei den Leuten zum Alkoholismus oder der Alkoholismus zum Rauchen geführt hat oder es eine dritte (vierte, fünfte …) Ursache für beides gibt, die dann noch zu ermitteln wäre, oder ob Rauchen und Alkoholismus einander gleichermaßen befördern und es in den einzelnen Fällen mal so und mal so herum läuft?
Und HD behauptet, Sozialwissenschaftler hätten das nach einem ganzen Studium, in dem sie sich dauernd mit Fragen beschäftigen, ob und wie verschiedene Einzelbeobachtungen eines gesellschaftlichen Geschehens zusammenhängen, noch nicht verstanden. Hätten nicht verstanden, dass irgendwelche zwei Merkmale, die sich gleichzeitig beobachten lassen, auf verschiedene Weise oder auch gar nicht zusammenhängen können. Abgesehen davon, dass das nicht stimmt und dementsprechend von ihm auch nie belegt wird, ist es völlig unplausibel. Wie sollte es möglich sein, es jahrelang erfolgreich zu vermeiden, eine solche Trivialität zu verstehen, obwohl man von der Art der Probleme, mit denen man sich befasst, ständig mit der Nase darauf gestoßen wird?
Und wenn Journalisten oder auch Sozialwissenschaftler von einer Korrelation auf eine Kausalität schließen, bedeutet das noch lange nicht, dass sie den Unterschied nicht kennen. In der Regel wird es eher der Fall sein, dass sie über die Kausalität einfach Plausibilitätsannahmen anstellen. Wenn man zum Beispiel eine negative Korrelation zwischen Armut und Intelligenz vorfindet, kann ein Neoliberaler sagen, tja, die Leute sind arm, weil sie halt nicht so schlau sind; wer was kann, wird auch was, und die sind nichts geworden, weil sie nichts können. Und ein Linker kann sagen, nein, die hätten ursprünglich genausoviel gekonnt wie alle anderen, aber die Armut hat ihnen zugesetzt und darunter hat ihre Intelligenz gelitten. Beide Erklärungen sind erst einmal unbewiesen und dürfen von einem Wissenschaftler nicht als Faktum ausgegeben werden. Aber Plaubilitätsannahmen dieser Art stellen Hypothesen zur Verfügung, die man dann im nächsten Schritt prüfen kann. Ohne Annahmen keine Hypothesen und ohne Hypothesen keine empirische Forschung, weil man nicht ins Blaue hinein irgendwas erforschen kann. Solche Annahmen stehen also unvermeidlich bereits am Anfang eines Forschungsvorhabens. Es mag nicht immer zulässig sein, wenn jemand seine Hypothese durch eine vorgefundene Korrelation bestätigt sieht. Es bedeutet aber auch noch lange nicht, dass er den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht kennt.
Zudem ist es oft gar nicht möglich, eine Kausalität ohne Plausibilitätsannahmen lückenlos zu „beweisen“. Deswegen konnte die Tabakindustrie jahrzehntelang sagen: Jo, der Mann hat viel geraucht und jetzt hat er Krebs, aber andere rauchen und haben keinen Krebs, und noch andere haben Krebs und rauchen nicht, das beweist also gar nichts. Es könnte ja theoretisch auch sein, dass Leute, die viel rauchen, häufig auch ungesund essen und das ungesunde Essen den Krebs verursacht, oder ein Mangel an Bewegung usw. Aber irgendwann sagt man halt, es lässt sich beobachten, dass Raucher über lange Zeiträume gesehen überdurchschnittlich häufig Krebs bekommen, und vieles deutet darauf hin, dass das eine Konsequenz des Rauchens ist, auch wenn sich diese Konsequenz nicht immer einstellt, also gehen wir nun vernünftigerweise davon aus, dass es eine kausale Verbindung gibt. Da ist vernünftige Abwägung und menschliches Ermessen im Spiel, und ohne geht es nicht. Denn im Fall des Rauchens ist genaugenommen sogar bewiesen, dass es eine strenge Kausalität nicht gibt, weil sonst jeder Raucher an Krebs erkranken müsste.
Eine Billardkugel, die mit bestimmter Kraft aus bestimmter Richtung angestoßen wird, setzt sich immer in bestimmter Richtung und Geschwindigkeit in Bewegung. Dies ist der Idealfall, der Modellfall der Kausalität. Er gehört zur Mechanik. Wenn man es mit komplexen Systemen zu tun hat, also schon in der Biologie und erst recht in der Soziologie und Psychologie, wird man Kausalität in dieser Eindeutigkeit in den seltensten Fällen finden, weil die Zusammenhänge dort eben nicht einfach mechanische sind.
Ein kurz zuvor veröffentlichter Beitrag über Korrelation und Kausalität handelt von einem Buch namens „Männer und Frauen. Grafiken erklären die Unterschiede“. Die Autoren nennen Zahlen, denen zufolge weitaus mehr Frauen- als Männerunterhosen verkauft werden, und schließen daraus, dass Männer eine schlechtere Hygiene haben. HD zählt eine Reihe alternativer Erklärungen für die verschiedenen Verkaufszahlen auf und folgert:
Die Aussage, dass das mit der Sauberkeit zu tun hätte, ist also Nonsens.
Dann sind die selbstgemachten Alternativerklärungen aber gleichfalls Nonsens. Eine Vermutung beweist nicht, dass eine andere Vermutung falsch ist. Sie beweist nur, dass eben verschiedene Vermutungen möglich sind. Alle diese Vermutungen sind erst einmal Hypothesen, die man nun prüfen könnte. Dabei kann man über die Plausibilität der einzelnen Möglichkeiten streiten und wird forschungsökonomisch diejenigen zuerst prüfen, die man für die wahrscheinlichsten hält. Auch hier braucht man Plausibilitätsannahmen, weil man ohne sie unendlich viele Möglichkeiten empirisch prüfen müsste, auch solche, die einem völlig schwachsinnig erscheinen. Manchmal mag das, was einem zunächst abwegig erscheint, sich als richtig herausstellen, aber alles in allem ist es rational und pragmatisch, erst einmal das Naheliegende zu prüfen. (Wobei ich in diesem Fall zustimme, dass die Erklärung „Männer sind Schweine“ nicht die nächstliegende ist.)
Davon abgesehen macht bei diesem Buch doch schon der Titel klar, dass es kein wissenschaftliches Buch ist, sondern eher eine Klo-/Unterhaltungs-/Party-/Friseurlektüre. Entsprechend heißt es über die Autoren:
Beim ersten habe ich nicht entdeckt, was er eigentlich von Beruf und Ausbildung her ist, er schreibt für die ZEIT bzw. ZEITmagazin. Und scheint mit Vorliebe Statistiken zu präsentieren und als Erklärungen auszugeben. Der Zweite ist Grafik-Designer, hat an der Berliner Universität der Künste studiert, […]
Ein Journalist und ein Grafikdesigner also. Und was können jetzt Politologen und Soziologen dafür?
HD bietet auch einige Buchrezensionen an, darunter auch welche zu gesellschaftlichen Themen:
- Das Elend der Universitäten, ein Sammelband. Die drei Herausgeber sind Politologen (was nicht erwähnt wird). „Den ersten – von den Herausgebern geschriebenen – [Beitrag] habe ich gelesen und er gefällt mir.“
- Der zweite Beitrag, ebenfalls von einem Politikwissenschaftler (was nicht erwähnt wird): „ziemlich drastisch, aber fundiert … Trefflich formuliert … Schön gesagt und gut getroffen … Die Darstellung gefällt mir insgesamt sehr gut. An einem Punkt bin ich aber skeptisch: …“. Okay, skeptisch, aber ein Vollidiot scheint auch dieser Verfasser nicht zu sein.
- Uni-Angst und Uni-Bluff – Wie studieren und sich nicht verlieren, von einem Soziologen (was nicht erwähnt wird): „… das Buch ist wirklich super“.
Auch Harald Eia, der Dokumentarfilmer, der in Norwegen den Genderismus auffliegen ließ, ist übrigens Soziologe. Das wird in der Klageschrift immerhin erwähnt.
Diese Auswahl der Buchrezensionen ist nicht selektiv. Eigentlich hatte ich vielmehr nach Verrissen gesucht, um vielleicht eine begründete Kritik einer sozialwissenschaftlichen Arbeit zu finden, mit der man sich sachlich auseinandersetzen könnte. Aber auch unter den Buchrezensionen Fehlanzeige. Das Bashing findet immer nur im Vorbeigehen und in Form unbelegter Pauschalurteile und Beschimpfungen statt. Etwa so:
Da bei den Genderisten zwar keine Naturwissenschaftler (und sonstige auf Wahrheit und Seriosität ausgerichtete Leute) mitmachen, dafür aber sehr viele Soziologen, Journalisten, Politikwissenschaftler, Medienleute mitmachen, herrscht bei den Genderisten durchaus das Fachwissen, wie man Kritiker diskreditiert.
Beispiele dieser Art findet man bei ihm ohne Ende. Neben der Sache mit den Buchrezensionen steckt noch eine weitere Ironie darin, dass HD in seinen Büchern detailliert seine Erfahrungen mit korrupten und/oder inkompetenten Informatikern und Juristen ausbreitet. Wenn es an Allgemeinbeschimpfungenaussagen geht, sind die Korrupten und Inkompetenten aber immer Sozialwissenschaftler.
Wissenschaft selbstgemacht
Noch schräger wird es, wenn man sieht, dass HD sich selbst als Sozialwissenschaftler betätigt, wenn er eine Theorie der Ausländerfeindlichkeit aufstellt, sowie als Philosoph, wenn er eine Theorie der Moral aufstellt. Da er das tut, kann er logischerweise nicht der Auffassung sein, es wären überhaupt keine begründeten Aussagen über Gesellschaft möglich – was auch irrational und mit einem modernen Wissenschaftsverständnis unvereinbar wäre, weil Menschen nichts Magisches sind, sondern Teil der Natur, die sich auf rationale Weise beobachten und beschreiben lässt. Da er nun Geistes- und Sozialwissenschaftler sowie Philosophen ständig für nutzlos und dumm erklärt und sein Desinteresse an ihren Arbeiten bekundet, aber selbst häufig Thesen und Theorien über soziale Zusammenhänge aufstellt, muss er also annehmen, dass er, ohne entsprechende Ausbildung, im Alleingang nach Feierabend, eine bessere Sozialwissenschaft und Philosophie aus dem Ärmel schütteln kann als Jahrhunderte, im Fall der Philosophie Jahrtausende von darauf spezialisierten Denkern und Forschern vor ihm sie aufeinander aufbauend erarbeitet haben.
Das muss man kurz sacken lassen.
Diesseits von Zauberei oder Verschwörungstheorie ist nicht zu erklären, wie das möglich sein sollte. Die Annahme ist neben ihrer Irrationalität auch ahistorisch, weil die moderne Naturwissenschaft sich in der griechischen Antike und der europäischen Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts, welche dann Säkularisierung, Industrialisierung und freiheitliche, rechtsstaatliche Verfassungen hervorgebracht hat, in engem Zusammenhang mit der Philosophie entstanden ist. Das ist kein Zufall, sondern war notwendig, weil wissenschaftlicher Fortschritt Klarheit über den Unterschied zwischen Glauben und Wissen und über die Bedingungen menschlicher Erkenntnis voraussetzt. Man nennt das Erkenntnistheorie. Ohne eine Theorie von den Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis ist es unmöglich, rationale Wissenschaft zu betreiben, weil man kritiklos dem ausgeliefert wäre, was einem irgendwie gerade einleuchtet. Dass wir heute mehr oder weniger intuitiv erkennen können, was eine wissenschaftliche Aussage ist und was nicht, liegt nicht einfach daran, dass Menschen plötzlich aus heiterem Himmel so clevere Köpfchen geworden sind, wie sie es vorher nie waren, sondern daran, dass wir durch Schule, Uni und unsere Kultur insgesamt dieses philosophische Minimum gelernt haben, das in allen wissenschaftlichen Disziplinen und überhaupt in der kulturellen Formatierung von Wissen enthalten ist. Zum Beispiel Logik. Welche Disziplin ist für Logik zuständig? Der Irrationalismus, um den es hier geht, hält Philosophie für Geschwafel – dabei ist es seit Jahrtausenden die ureigenste Aufgabe der Philosophie, zu klären, wie sich Sätze formulieren lassen, die als wahr gelten können, also mit Gewissheit kein Geschwafel sind. Sobald man aufhört, blind seinem Bauchgefühl zu vertrauen, merkt man, dass diese Frage nicht trivial ist, da unsere Sinne uns bekanntlich täuschen und wir uns irren können. Dass heutige Philosophie-Absolventen oft schwafeln – joah, geschenkt. In welcher Disziplin gibt es in unserem Zeitalter, wo Wissenschaft zur Massenware und -beschäftigung geworden ist, keinen Müll?
Weil HD, so weit ich sehen konnte, sein Wissenschaftsverständnis nur im Vorbeigehen, in flapsigen Randbemerkungen, launigen Bewertungen und Beschimpfungen „darstellt“, halte ich mich nun an seine Theorien der Fremdenfeindlichkeit und der Moral, um der Sache näherzukommen. Er sagt darin, dass sie keinen wissenschaftlichen Anspruch hätten. Trotzdem behaupten sie ja etwas und argumentieren, und es wäre widersinnig, das zu tun, wenn sich damit nicht der Anspruch verbände, dass diese Behauptungen und Argumente irgendwie gültig seien.
Zwei Theorien
Der Kern der Theorie der Ausländerfeindlichkeit, der von einer Quelle inspiriert ist, an die er sich nicht genau erinnert, ist der, dass es sich im Evolutionsprozess als Überlebensvorteil erwiesen habe, das Abnorme oder Ungewohnte als feindlich und gefährlich zu bewerten, und dass nun bei Ausländerfeindlichkeit dieses archaische Muster der Gefahrenvermeidung wieder „durchbricht“. Ich beschränke mich hier auf die offensichtlichsten und wichtigsten Fehler und Unstimmigkeiten dieser Theorie.
- Der Text unterschlägt die evolutionäre Bedeutung der Neugier. Alle höher entwickelten Lebewesen zeigen Neugierverhalten. Das lässt sich jederzeit beobachten und ist evolutionslogisch auch notwendig. Je höher der Grad an Komplexität und Variabilität der Umwelt, in der ein Organismus überleben muss, umso weniger können seine Verhaltensprogramme genetisch präzise festgelegt sein, weil er eine gewisse Flexibilität braucht, um sich an vielfältige und wechselnde Anforderungen anpassen zu können. Dieses Sich-Anpassen nennt man lernen. Neugier ist das instinktive Verhaltensprogramm, das aktives Lernen motiviert, indem es – konträr zur Grundthese – für eine positive Hinwendung zum Unbekannten sorgt.
- Die Theorie ignoriert den für ihr Thema wichtigen Umstand, dass Gefahrensignale oft spezifisch codiert sind. Es wird zwar erwähnt, dass Tiere ihre Hauptfeinde an bestimmten äußeren Merkmalen erkennen, aber gleichzeitig so getan, als würde vor allem das Unbestimmte als gefährlich wahrgenommen. Es wäre aber kontraproduktiv, wenn Tiere permanent vor allem möglichen Kram weglaufen würden, nur weil sie solchen Kram noch nicht gesehen haben oder sich daran nicht mehr erinnern. Gefahr signalisieren vielmehr spezifischere Reize wie Silhouetten, Farben, Schreie, ruckartige Bewegungen, plötzlicher Lärm, vibrierender Boden usw. Hier gibt es viel gesichertes Wissen der Verhaltensforschung, das zugunsten einer Vermutung darüber, wie Gefahrenwahrnehmung funktionieren könnte, ignoriert wird.
- Wenn man bedenkt, wie die Europäer ab dem 16. Jahrhundert mit den Afrikanern und etwas später mit den amerikanischen Ureinwohnern umgesprungen sind, bekommt man nicht den Eindruck, sie hätten vor diesen für sie doch sehr fremdartigen Menschen sonderlich Angst gehabt.
- „Jeder Abnormität ohne nähere Betrachtung (böse) Absichten eines Anderen zu unterstellen, also in alles und jedes Bewußtsein zu stopfen, […] hat [..] entwicklungshistorisch den höchsten Überlebenserfolg gesichert. Deshalb scheuen und springen Pferde in Panik, weil sie die besten Chancen haben, damit ein aus dem Gras aufspringemdes Raubtier abzuwerfen und ihm zu entkommen, während der Esel stur stehenbleibt, weil in bergigem Gelände jede falsche Bewegung die letzte gewesen sein könnte.“ Und wo genau stopft der Esel jetzt Absichten und Bewusstsein hinein? Der Text vermengt Gefahrenwahrnehmung und Animismus (die Neigung, in unbelebten Dingen Absichten zu sehen), aber beide haben nichts miteinander zu tun. Dass Tiere, die zum Beispiel vor Feuer oder Lärm fliehen, dem Feuer oder Lärm „Absichten“ unterstellen, ist reine Fantasie und ein Theorem, das weder beweisbar noch überhaupt notwendig ist. Denn evolutionstheoretisch gesehen ist es überflüssig, etwas als gefährlich Identifiziertes grundsätzlich mit „Absichten“ auszustatten. Die Identifikation als gefährlich genügt. „Wenn was passiert, was man nicht auf normale Weise erklären kann, war es eben entweder Gottes Wille oder der Teufel. […] Das Rudiment des bewährten Raubtierfluchtreflexes ist der Drang, in allem und jedem eine Absicht, einen versteckten Angreifer zu sehen.“ Götter, Geister, Heilige usw. sind aber nicht immer Angreifer, sondern mindestens genauso oft Verbündete und Beschützer. Und was zum Teufel ist die „normale Weise“, etwas zu erklären? Die des Verfassers vermutlich. Das würde heißen, dass fast alle Menschen sich zu fast allen Zeiten „unnormal“ verhalten, denn das wissenschaftliche Zeitalter ist in menschheitsgeschichtlichem Maßstab lächerlich kurz und auch in ihm ist Religion alles andere als tot. Die Annahme, dass eine naturwissenschaftlich-kausale Erklärungsweise für Menschen die „normale“ ist und irgendwie zuerst da war, hat nichts mit der beobachtbaren Wirklichkeit zu tun.
- Dann kommt noch eine Anwendung der Theorie auf den Nationalsozialismus. „Es würde bedeuten, daß ausgerechnet die Nazis, die sich so viel auf eine genetische Überlegenheit eingebildet haben, genetisch unterlegen waren/sind, denn ihr archaisch geprägtes Verhalten würde unter dieser Theorie bedeuten, daß sie wesentlich näher am urzeitlichen Höhlenbewohner und weniger am zivilisierten Homo Sapiens aufgestellt sind. Nazitum wäre ein konkretes Merkmal intellektueller und damit genetischer und evolutionärer Rückständigkeit.“ Aber wie ist es möglich, dass in 12 Jahren Nazitum plötzlich Millionen Menschen rückständige Gene hatten, davor aber noch nicht und danach auch nicht mehr?
- „Möglicherweise ergibt sich sogar ein Übersprungeffekt wie bei Allergien: […] Vielleicht gibt es das auch in diesen Verhaltensmustern. Womöglich führt unsere zivilisierte und beschützte Welt dazu, daß die Verteidigungsmechnismen unterfordert sind und sich deshalb ein Feindbild und eine Verallgemeinerung schaffen, wo es keinen Angreifer gibt.“ Das Nazitum ist allerdings im unmittelbaren Fahrwasser eines verheerenden Weltkriegs und einer verheerenden Wirtschaftskrise mitsamt Massenarbeitslosigkeit etc. unter Bedingungen scharfer sozialer Konflikte und gewaltsamer Unruhen entstanden. Von einer „beschützten Welt“ war diese Situation weit entfernt.
- Schließlich wird noch darauf hingewiesen, dass die Rassen-Reinheitslehre der Nazis nach ihren eigenen Maßstäben kontraproduktiv war, weil ein gesunder Genpool sich durch eine möglichst große Durchmischung verschiedener Genome herstellt. Wenn dem aber so ist, kann nicht gleichzeitig die Wahrnehmung von Fremden als feindlich dem Evolutionsprozess förderlich gewesen sein, wie anfangs behauptet wurde.
Die ganze Theorie ist Kraut und Rüben, geprägt von dem unbedingten und nie begründeten Willen, alles biologisch zu erklären, als sei das automatisch wissenschaftlicher, auch um den Preis dauernder Selbstwidersprüche und Vernachlässigung relevanter Fakten, die zur Prüfung der Theorie zur Verfügung stehen. Die Theorie steht in vielen ihrer Behauptungen auf Kriegsfuß mit gesichertem Wissen und ist noch nicht einmal in sich logisch, strahlt aber durch die Berufung auf Naturwissenschaften Wissenschaftlichkeit aus. Naturwissenschaftliche Begriffe werden hier zu Fetischen. Die Erwartung, ihre Anwendung führe automatisch zu einer validen Erklärung, ohne dass diese Anwendung in sich logisch sein oder die Schlussfolgerungen empirisch geprüft werden müssten, ist nicht weniger irrational als die, zu validen Erklärungen gelange man automatisch durch mehr Gleichheit im Wissenschaftsbetrieb.
Die Tatsachen, dass erstens Menschen und Gesellschaften in sehr verschiedenen Graden und zum Teil auch gar nicht fremdenfeindlich sind, dass es zweitens keinen Beleg dafür gibt, dass diese Unterschiede genetisch begründet wären, und dass drittens bestimmte Menschen und Gesellschaften auch im Lauf der Zeit das Maß ihrer Fremdenfeindlichkeit stark verändern können, ohne dass sich dabei ihre Gene veränderten, verweisen deutlich und dringend darauf, dass Fremdenfeindlichkeit, zumindest auch und in erheblichem Umfang, soziale Ursachen hat. Das aber kann nicht sein, weil es nicht sein darf. Und es darf nicht sein, weil Soziologen doof sind.
Irrational.
Bei der Moraltheorie ergibt sich das gleiche Bild. Um ein paar evolutionsbiologische Wissensfragmente herum wird assoziativ und beliebig ein kontrafaktisches und in sich widersprüchliches Gedankengebäude errichtet, wobei das einzige erkennbare Kriterium dafür, dass eine Schlussfolgerung zulässig und richtig ist, darin besteht, dass sie dem Verfasser gerade irgendwie einleuchtet.
Dazu kurz allgemein. Das Hauptproblem mit dem Theoretisieren auf der Grundlage evolutionsbiologischen Halbwissens, das im Gefolge von Richard Dawkins populär geworden ist, besteht darin, dass man damit alles „beweisen“ kann. Natürlich ist es richtig, dass Organismen letztendlich einfach aufs Überleben ausgerichtet sind, weil Organismen, die das nicht sind, eben langfristig nicht überleben. Wenn das aber das einzige ist, was man an empirischem Wissen berücksichtigt, kann man sich damit alles zusammenspinnen. Man kann zum Beispiel sagen, Vergewaltigung ist evolutionär sinnvoll (habe mal irgendwo gelesen, dass jemand das behauptet), weil damit die Männer eine möglichst große Streuung ihrer Gene erreichen. Man kann aber auch sagen, Vergewaltigung ist evolutionär schädlich, weil sie die Frau traumatisiert, die dadurch außerdem ein gestörtes Verhältnis zum Kind entwickelt, das dadurch wiederum nicht zu voller Stärke heranwachsen kann, oder auch weil durch Vergewaltigung Feindschaften entstehen, die den Gruppenzusammenhalt bedrohen. Man kann sagen, es ist evolutionär sinnvoll, wenn Sippen erst mal alle Früchte probieren, so dass zwar einige an den giftigen Früchten sterben, dafür aber die Gruppe über alle Früchte bescheid weiß und somit ihre Ernährungsmöglichkeiten maximiert, oder, es ist evolutionär sinnvoll, wenn Sippen bei dem bleiben, was sie kennen, weil alles andere unwägbare Gefahren bedeutet. Man kann sagen, feste Paarbindungen sind evolutionär sinnvoll, weil sie ständige Konkurrenzkämpfe um die Weibchen vermeiden und eine kontinuierliche Versorgung des Nachwuchses sicherstellen, oder man kann sagen, feste Paarbindungen sind evolutionär schädlich, weil sie einer möglichst breiten Durchmischung der Gene entgegenstehen.
So kann sich jeder seine Lieblingstheorie zusammenschnitzen. Aber das ist alles fiktiv, solange man nicht irgendwie Informationen darüber heranschafft, wie es denn nun wirklich war, statt sich mit den eigenen Fantasien darüber zu begnügen, wie es gewesen sein könnte.
So auch diese Moraltheorie. In einem Buch, das ihm ein Leser zugeschickt hat, hat HD gelesen,
daß ein gewisser Robert Spaemann (nie von dem gehört), der einer der einflußreichsten deutschen Ethiker sein soll (sowas gibt’s auch?), vehement die These verträte, daß Moral nicht relativ wäre, sondern es ein allgemeingültiges natürliches Sittengesetz gäbe. Und das halte ich für Unfug.
Nebenbei sieht man noch mal, dass Geisteswissenschaftler so verachtenswert sind, dass man stolz darauf sein kann, nichts über sie zu wissen – obwohl man dann genaugenommen auch nicht wissen kann, dass sie verachtenswert sind. Aber weiter im Text. Die These lautet:
Etwas ist nicht unmoralisch, sondern es wird von jemandem als unmoralisch bewertet.
Das kann man so sagen, aber das heißt dann auch: Etwas ist keine Straftat, sondern wird von jemandem als Straftat bewertet. Etwas ist keine Sprache, sondern wird von jemandem als Sprache interpretiert. Etwas ist kein Mittagessen, sondern wird von jemandem als Mittagessen verspeist. Die Unterstellung, Spaemann oder sonst jemandem wäre nicht bewusst, dass Kategorien wie Moral und Unmoral, wie alle Kategorien, menschliche Kategorien sind, die nur existieren, wenn sie benutzt werden, ist mal wieder atemberaubend. Auf das Grundmissverständnis, das in dieser Gegenüberstellung von Sein und Bewertetwerden steckt, kommen wir noch zurück.
Moral und unmoral liegen nicht in der Sache, in der Handlung, sondern im Auge des Betrachters. Sie entstehen erst durch die Einordnung durch einen Betrachter in einen Maßstab. Die übliche Sprachweise, das etwas unmoralisch sei, und man es nicht nur so empfindet, ist nur ein rhetorisches Mittel, der eigenen Meinung den Anschein des Allgemeingültigen zu geben.
Dann ist aber meine Aussage, dass das hier auf dem Tisch eine Kartoffel ist (und nicht etwa eine potato oder pomme de terre), ebenso nur ein rhetorisches Mittel, um meiner Meinung den Anschein des Allgemeingültigen zu geben.
Das ist Quatsch. In menschlichen Gesellschaften gibt es Konventionen darüber, was als moralisch und was als unmoralisch angesehen wird. Wenn ich sage „das ist unmoralisch“, berufe ich mich auf diese Konvention, ebenso wie wenn ich sage, „das ist strafbar“. Der einzige Unterschied ist, dass Strafbarkeit präziser definiert ist – aber auch nicht so präzise, dass darüber nicht gestritten zu werden bräuchte; dafür gibt es ja Gerichte. Jetzt kann man auch sagen, die Strafbarkeit liegt nicht in der Sache selbst, sondern in der Bewertung der betreffenden Handlung durch Menschen. Ja, und? Das heißt weder, dass sie nicht real ist, noch, dass sie nicht für die Zwecke der betreffenden Kommunikation als allgemeingültig unterstellt werden kann. Es liegt auch nicht in der Kartoffel selbst, Kartoffel zu heißen oder gegessen zu werden, sondern es ist eine Konvention von Menschen, sie so zu nennen und als etwas Essbares zu behandeln. Wir sagen: „das ist eine Kartoffel“ und nicht „ich bezeichne das jetzt mal als Kartoffel“, obwohl wir wissen, dass die allermeisten Menschen das Ding nicht Kartoffel nennen. Wir unterstellen also auch da eine Allgemeingültigkeit, die eigentlich nicht gegeben ist. Das ist aber kein „rhetorisches Mittel“ zu irgendwas, sondern einfach ein normaler Gebrauch von Sprache.
Damit gibt es jedoch keine allgemeingültige absolute Moral, anders als etwa die Mathematik oder die physikalischen Naturgesetze. Mathematik funktioniert auch auf dem Mond oder dem Mars, ebenso die Physik, sonst würden die Marsrover da oben nicht fahren.
Moral funktioniert auch auf dem Mond, sonst würden Astronauten dort oben ihre Kinderstube vergessen, sich gegenseitig an die Gurgel gehen und ihren Befehlen nicht mehr gehorchen.
Ein Stein fällt auch dann nach den Gesetzen der Gravitation, wenn keiner guckt.
Nein, Steine kümmern sich nicht um Gesetze. Der Begriff „Naturgesetz“ führt leicht in die Irre, weil Gesetze im juristischen Sinn Vorschriften, Naturgesetze aber Beschreibungen sind. Wir halten uns an Gesetze. Der Stein hält sich nicht an Gesetze, sondern er tut, was er sowieso tun würde, und Menschen formulieren Naturgesetze, die beschreiben, was er tut. Das wird klarer, wenn man sich vor Augen führt, dass die Newtonsche Mechanik, die für fallende Steine zuständig ist, das physikalische Geschehen eben nicht exakt beschreibt, sondern nur für die meisten praktischen Zwecke exakt genug. In ihr sind nämlich Quantenmechanik und Relativitätstheorie nicht berücksichtigt. Sie ist deshalb keine vollständige Physik und gilt nicht universell. Sie ist keine genaue oder gar „objektive“ Abbildung der Natur, sondern ein gedankliches Werkzeug, das für die meisten Zwecke einer physikalischen Wissenschaft gut genug ist. Mehr nicht.
2+2 ist auch da oben vier. Und nach allem, was wir bisher wissen, gilt das auch im Rest unserer Galaxie. Moral jedoch nicht. Ein Völkermord, ein Krieg, Massenvergewaltigungen, Sex außerhalb der Ehe, sind dem Mond oder dem Jupiter herzlich egal, sie spielen eigentlich überhaupt keine Rolle.
Dass 2+2=4 ist, ist dem Mond ebenfalls herzlich egal. Ohne Menschen gibt es keine Mathematik. Es gibt vielleicht zwei Nüsse, und woanders noch zwei Nüsse, aber keine „zwei“ oder „vier“, keine Addition und keine Gleichung. In der Natur gibt es keine Mathematik. Es gibt nur Dinge, genauer gesagt Relationen, die Menschen mit Mathematik beschreiben können.
Das mag nach Spitzfindigkeiten klingen. Es ist aber wichtig, weil diese Passagen davon ausgehen, dass man mit naturwissenschaftlichen Beschreibungen einen exklusiven Zugang zur „objektiven“ Wirklichkeit habe, den andere Beschreibungen nicht haben. Das ist eine Illusion. Physikalische Beschreibungen sind in vieler Hinsicht exakter als andere, aber sie sind ebensowenig „die Sache selbst“ wie irgend eine andere Beschreibung. Man seziere eine Billardkugel und zeige mir, wo darin die „Kausalität“ versteckt ist. „Kausalität“ ist eine Beschreibung bestimmter Typen von beobachtbaren Abläufen und, wie alle Begriffe, eine konventionelle Verallgemeinerung. In der Natur gibt es solche Abläufe, aber keine Verallgemeinerung.
Dazu noch ein Gedankenexperiment: Wenn du mich fragst, was ich gestern gemacht habe, und ich dir für jeden gegebenen Zeitpunkt des gestrigen Tages die exakten Koordinaten aller Atome übermittle, aus denen ich bestehe, könnte man sagen, das sei eine sehr exakte Auskunft. Aber man könnte auch sagen, es ist vor allem eine gigantische Menge nutzloser Daten – und keine Antwort auf deine Frage, solange du die Daten nicht aufwändig in etwas Verständliches zurückübersetzt. Die Form meiner Beschreibung ist nicht zweckmäßig. Und sie ist insofern auch nicht exakt, als sie dich mit Informationen überschwemmt, mit denen du nichts anfangen kannst, während die Antwort „ich habe Karten gespielt“ knapp, sparsam und auf den Punkt ist, also exakt die Information liefert, die gefragt war, und den ganzen überflüssigen Quatsch wie zum Beispiel die Details meines Blutkreislaufs weglässt. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, die atomare Beschreibung als „realer“ anzusehen, zumal man aus ihr keine Erklärung für irgendein Verhalten generieren kann. „Er ist geflohen, weil er Angst hatte“ – man versuche mal, diesen Ablauf auf atomarer Ebene zu erklären. Warum sollte ausgerechnet eine Form der Beschreibung, die keine Erklärungen hergibt, realer sein als eine, die das tut?
Sie ist es nicht. Die mechanische Form der Erklärung ist für manche Zwecke, logischerweise vor allem physikalisch-technische, am besten geeignet, und für andere weniger gut oder gar nicht. Selbst innerhalb der Physik ist sie nicht für alles geeignet, so dass man dort in manchen Fragen auf Relativitätstheorie oder Quantenmechanik zurückgreifen muss. Mit real oder nicht real, objektiv oder nicht objektiv, hat das nichts zu tun.
Dies beinhaltet keinerlei Kritik an Naturwissenschaften oder -wissenschaftlern, vor denen ich großen Respekt habe. Einen eifersüchtigen „meins ist besser als deins“-Grabenkrieg zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern halte ich für ungefähr so albern wie Jungs gegen Mädchen. Ich wende mich hier nur dagegen, Wissen über eine Sache mit der Sache selbst zu verwechseln. Das ist ein Anfängerfehler. Wir haben keinen Zugang zur Sache selbst. Wir haben menschliches Wissen, das eine Verarbeitung menschlicher Wahrnehmungen ist, nicht mehr und nicht weniger.
(Weil ich das Gefühl habe, dass dieses Grundmissverständnis weiter verbreitet ist, weise ich kurz darauf hin, dass nicht nur schwulgrünlinke 68er-Sozialwissenschaftlerjournalisten einen konstruktivistischen Standpunkt vertreten. Moderne Naturwissenschaftler tun das ständig, auch wenn sie es nicht so ausdrücken. Besonders deutlich ist das zum Beispiel in der Kybernetik, die hauptsächlich von Natur- und Ingenieurswissenschaftlern geschaffen wurde und später die Systemtheorie und Komplexitätsforschung befruchtete, die heute hochaktuell sind. Diese beiden sind interdisziplinär, spielen aber eher in Ökologie, Biologie, Wirtschaftswissenschaft und Informationstheorie eine Rolle als in der Soziologie oder Politikwissenschaft, und haben viele praktische Anwendungen, zum Beispiel für Wettervorhersage und andere Simulationsmodelle. Der renommierte Biologe Umberto Maturana und der Physiker Heinz von Foerster, die aus der kybernetisch-systemtheoretischen Richtung kommen, werden dem „radikalen Konstruktivismus“ zugeordnet, auch wenn ersterer das ablehnt, und der Biologe Richard Lewontin beginnt sein Buch „Die Dreifachhelix – Gen, Organismus und Umwelt“ mit dem Satz: „Es ist unmöglich, Wissenschaft zu betreiben, ohne eine Sprache zu verwenden, die aus einer Vielzahl von Metaphern besteht“. Als Beispiele nennt er „Wellen“ und „Partikel“ (Teilchen), die DNA als „Blueprint“, ein Gen als „Information“. Das Buch ist übrigens sehr empfehlenswert. Ich beschränke die Wikipedia-Links aufs Nötigste, weil jeder selbst googeln kann und Wikipedia stinkt.)
Es folgt nun ein längerer Absatz darüber, „daß der Mensch sehr viel weniger bewußt und intelligent handelt, als er glaubt“.
Wie im Tierreich, es geht letztlich nur um Fressen und F…ortpflanzen, alles andere ist nachrangig und dient letztlich nur diesen beiden Hauptzielen. Der Mensch unterscheidet sich nicht durch sein Bewußtsein, seine Ethik oder Moral vom Tier, sondern nur davon, daß er diese beiden Ziele auf sehr viel komplexere Weise und mit mehr Rechenaufwand verfolgt.
Was nur eine andere Ausdrucksweise für dasselbe ist. Die Beschreibung der höheren psychischen Funktionen von Menschen als „Rechenaufwand“ ist in keiner Weise „realer“ als diejenige als „Bewusstsein“. Beides sind Beschreibungen, die in verschiedenen Zusammenhängen mehr oder weniger zweckmäßig sein können, mehr nicht. Bei „Rechenaufwand“ und „Programmen“ ist zudem offensichtlich, dass es sich um Computermetaphern handelt. Hier ganz ähnlich:
Juristen bilden sich ein, sie würden Juristerei betreiben. Tun sie nicht. In Wirklichkeit haben sich da nur unsere Verhaltensmuster verselbständigt und abstrahiert.
Ich bilde mir ein, ich würde sprechen. Tue ich nicht. In Wirklichkeit flattert da nur meine Zunge durch die Luft, die ich ausatme.
Allerweltsbeobachtungen wie die, dass Recht aus Abstraktionen besteht, werden in pseudobiologische Ausdrücke übersetzt, die dann als „die Wirklichkeit“ bezeichnet werden. Dass Rechtspraktiker Recht praktizieren ist dadurch irgendwie plötzlich keine Wirklichkeit mehr. Weil es nur eine menschliche Beschreibung ist? Und für HDs Beschreibungen gilt das nicht?
Jetzt aber kommen wir der Sache näher, was Moral ist.
Ich bin der Auffassung, daß es aber auch solche evolutionär entwickelten Verhaltensweisen gibt, die ebenfalls allein dem Überleben und der Fortpflanzung dienen, die aber das langfristige Verhalten und damit langsame Entscheidungen und Verhaltensgrundsätze, die langfristige Lebensstrategie betreffen. So wie Eichhörnchen eben nicht nur vor der Katze fliehen, sondern für den Winter auch Vorräte anlegen. Und dieses evolutionär entwickelte Langzeitverhalten, daß ist das, was wir als „Moral” bezeichnen. Das bringt das Gefühl für Gerechtigkeit, für Wohlverhalten, für moralische Anforderungen hervor.
Inzwischen hat sich die Theorie so weit, äh, entwickelt, dass sie diametral ihrer eigenen Ausgangsthese widerspricht, dass Moral nur im Auge des Betrachters liege. Langfristig evolutionär entwickelte Verhaltensmuster liegen ja wohl in den Organismen, die sich so verhalten. Außer wenn mit der Ausgangsthese gemeint war, dass diese Verhaltensmuster „an sich“ nicht „Moral“ heißen. Das wäre aber eine leere Aussage, weil es überhaupt nichts auf der Welt gibt, das „an sich“ irgendwie „heißt“.
Richtig ist, dass Moral ein Komplex an Verhaltensweisen ist, deren Funktion darin besteht, das Leben und Überleben in Gruppen zu sichern. Dass Menschen irgendwelche Mechanismen brauchen, um ihr Zusammenleben zu regulieren, ist offensichtlich. Und das ist es ja auch, was Philosophen mit einem allgemeinen „Sittengesetz“ meinen – Regeln, die in jeder menschlichen Gesellschaft gelten müssen, damit diese Bestand haben kann. Die Frage nach einem allgemeinen Sittengesetz ist die Frage, welche Regeln das sind.
Etwas anderes ist an dieser Stelle bzw. dieser Theorie aber erschreckend, und erschreckend wirklichkeitsfern. Das wird etwas weiter unten deutlicher:
So wie der Mensch unterschiedliche Hautfarben, groß oder klein ist, lange, kurze, dicke oder dünne Nasen hat, oder wie sich überhaupt die Tierarten an die Lebensbedingungen angepaßt haben, so gibt es auch verschiedene Verhaltensweisen, die wir evolutionär entwickelt haben und die an die Umweltbedinungen angepaßt sind.
So hat es sich unter manchen Bedingungen als günstig erwiesen, nicht den Einzelnen, sondern die Gemeinschaft zu fördern und kooperativ zu handeln, sich nicht gegenseitig zu benachteiligen. Entsprechende soziale Verhaltensweisen sind entstanden. Auch im Tierreich gibt es Tiere, die im Rudel mit Sozialsystem leben, weil es sich bewährt hat.
Heißt „evolutionär entwickelt“, dass gemeint ist, die Unterschiede im Sozialverhalten seien genetisch codiert und vererbt? Oh Gott. Oh Gottogott.
Wieso können Gesellschaftsstrukturen und mit ihnen Verhaltensweisen sich dann innerhalb einer Generation, sogar im Ernstfall innerhalb von Tagen, radikal verändern, etwa durch Revolution, Bürgerkrieg, Spaltung von Gruppen usw.? Wieso entwickelt dann ein Säugling, der unter ägyptischen Nomaden geboren und dann sofort nach Manhattan gebracht wird und dort aufwächst, perfekte Manhattaner Verhaltensweisen und eine völlig andere Moral als seine nomadischen Eltern? Wieso kommt Philip Rösler rüber wie ein ganz normaler deutscher Streber?
Es wäre eine wissenschaftliche Revolution, wenn es stimmen würde, dass verschiedene Menschengruppen verschiedene genetisch codierte Verhaltensmuster aufweisen. Aber so ist es hier dargestellt:
Wie man auch im Tierreich leicht sehen kann, gibt es unterschiedliche Strategien. Manchmal ist die strikte Partnertreue der Weg zum Überlebenserfolg. Unter anderen Bedingungen kann es die Promiskuität, der wilde Gruppensex sein.
[…]
Menschliche Moral läuft nicht anders. Manche haben eben das Programm, eine offene Sexualität zu betreiben, weil sich das evolutionär bewährt hat. Sie werden Minirock und „Spaßvögeln” außerhalb der Ehe nicht als strategiewidrig und damit auch nicht als unmoralisch bewerten.
Manche haben das Programm? Wie kann sich ein Programm evolutionär für manche bewährt haben und für andere nicht? Hat jeder seinen eigenen individuellen Evolutionsprozess? Wiedergeburt? Es scheint wirklich so zu sein, dass dieses „manche“ sich auf Einzelpersonen bezieht:
Und es gibt Männer, deren Verhaltensprogramm darauf hinausläuft, ähnlich wie bei den Nagetieren und den Pavianen zu verhindern, daß Frauen Kinder von anderen Männern austragen.
Sorry, aber eine Aussage der Form, für manche Individuen einer Population hat sich X evolutionär bewährt, ist einfach sinnlos. Und wenn es doch auf Gruppen und nicht auf Individuen bezogen sein soll, dann ist das eine rassische Erklärung von Verhalten, für die es keine Belege gibt. Und es ist ja nicht so, als ob nie jemand nach solchen Belegen gesucht hätte.
Die Theorie noch mal auf eine Formel gebracht:
Moral ist die Übereinstimmung mit unserem genetisch vererbten (und durch Erziehung und Erfahrung ergänzten) Verhaltensprogramm.
In der etwas unentschlossenen Klammer spiegelt sich eine theoretische Unklarheit, die auch schon den Text zur Ausländerfeindlichkeit durchzog, nämlich die, dass dauernd Lernen und biologische Selektion miteinander vermengt werden und das Verhältnis zwischen beiden nicht geklärt oder wenigstens diskutiert wird. Wenn eine Theorie keine Klarheit darüber hat, was sie als genetisch selektiert und was als sozial entwickelt und vererbt und damit kulturell variabel ansieht, dann weiß diese Theorie selbst nicht, was sie eigentlich behauptet.
Es wird noch wilder, aber mir reicht’s dann auch langsam. Nur eine Frage hätte ich noch. Wenn Moral die „Übereinstimmung mit unserem genetisch vererbten (und durch Erziehung und Erfahrung ergänzten) Verhaltensprogramm“ ist, warum müssen dann alle Gesellschaften so einen Aufwand an sozialer Kontrolle zum Beispiel durch Mahnungen, Belehrung, Tabus, Lob und Tadel, Scham und Schuld, Fantasien von Himmel und Hölle, Bedrohung, Überwachung, Bestrafung usw. treiben, um moralisches Verhalten auch nur halbwegs aufrechtzuerhalten – zu mehr als halbwegs reicht es ja nie? Wenn jetzt Anarchie ausbräche und wir für einen Moment frei von allen Zwängen wären – würden wir dann alle unseren inneren Strebungen nachgeben und uns plötzlich alle perfekt moralisch verhalten, weil unser Inneres uns das diktiert?
Aber ich kann es mir schon denken. Der Mord und Totschlag, der dann das Bild prägen würde, wäre ganz leicht mit dem Dominantwerden archaischer Raubtier-Fluchtprogramme zu erklären. Die brechen ja immer durch, wenn eine Theorie in Lebensgefahr ist.
Ein tl;dr zum Schluss
Trotz seiner Verdienste um die Genderismus-Kritik, einschließlich der vielleicht noch kommenden, fällt es schwer, HD bedenkenlos zu unterstützen. Denn er vertritt nicht die rigorose Wissenschaftlichkeit, die zu vertreten er den Eindruck erweckt, sondern einen eigenen Irrationalismus, der sich schätzungsweise je zur Hälfte aus naturwissenschaftlichen oder vielmehr naturwissenschaftlich klingenden Versatzstücken und aus seinen Intuitionen, Neigungen und Abneigungen zusammensetzt. Er macht Sozialwissenschaftler und Philosophen zu einem Feindbild, ohne das zu begründen, und kann es auch gar nicht begründen, da er selbst elementare Grundlagen der betreffenden Disziplinen sowie der Wissenschaftstheorie und -geschichte nicht zur Kenntnis nimmt. Da das Glaubenssystem des Genderismus sich vor allem auf Annahmen über die menschliche Natur und Gesellschaft stützt, stellt sich die Frage, ob er nicht qualifizierter und glaubwürdiger von jemandem kritisiert werden kann, der sich mit so was auskennt oder es wenigstens nicht aus Prinzip ablehnt, sich darüber zu informieren.
Zugegeben – um zu widerlegen, dass Geschlechter im 18. Jahrhundert erfunden wurden, wie HD zufolge in einem deutschen Gender-Lehrbuch behauptet wird, braucht man sich mit nichts auszukennen. Man braucht nur irgendein historisches Dokument aus dem siebzehnten. Es bleibt aber das Problem, dass sein Engagement sich nicht nur gegen Genderismus richtet, sondern gegen eine rationale Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen der Gesellschaft schlechthin, denn die wird in den Sozialwissenschaften (was nicht heißt: von allen Sozialwissenschaftlern) versucht. Man muss sich überlegen, ob man das unterstützen will, zumal wenn man die dazu anschlussfähigen rechten Feindbilder und Verschwörungstheorien bedenkt, die oben angesprochen wurden.
Die Frage der Glaubwürdigkeit ist außerdem auch eine strategische. Die Klage hat Skandalisierungspotential und es wäre schön, wenn man Journalisten dafür interessieren könnte. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, dass ein Journalist, der HDs Blog einschließlich der Kommentare überfliegt (und dort dafür beschimpft wird, Journalist zu sein), sich so dazu bewegen lässt, der Sache einen Vertrauensvorschuss zu geben und seine knappe Zeit in die umfangreiche Klageschrift zu investieren.
Aus den Rundumbeschimpfungen und Pauschalurteilen ergeben sich für mich auch Schwierigkeiten damit, HD als glaubwürdige Quelle anzusehen. Wenn er in seiner farbigen Ausdrucksweise berichtet, die Gender-Literatur, die er zur Kenntnis genommen habe, sei „wissenschaftlich gar nichts“ und nur „Geschwafel“ und „dummes Zeug“ etc. (Gedächtniszitate), war ich zunächst geneigt, ihm das einfach zu glauben. Inzwischen kann ich es nicht mehr für bare Münze nehmen, weil er ganz ähnliche Formulierungen auch in anderen Zusammenhängen gebraucht, wo ich zufällig weiß, dass es nicht stimmt – außer, wie gesagt, wenn man sich an den jeweils schlechtesten Werken eines Faches orientiert. Das aber wäre irrational, weil man dann schlechte Arbeiten zum Anlass nähme, gute Arbeiten und das Potential für weitere gute Arbeiten in der Zukunft in die Tonne zu kloppen.
Voilá, mein Katalog verbotener Wörter und Redewendungen.
m sagte:
puh. viel text.
und das tl:dr erst haha.
dennoch sehr gut. danke für die mühe. das verspricht alles sehr interessant zu werden. 🙂
Gerhard sagte:
Ich schließe mich an, viel Text. Ich habe das meiste nur überflogen.
Zu Deiner Verortung zwischen Schoppe, Hoffmann und Schmidt.
Ganz Deiner Meinung, auch wenn selbst der verdienstvolle Arno sich doch oft genug etwas versteigt und Hadmut damit etwas ähnlich wird. Mir fällt dabei ein, daß ich die Facebookdiskussion an der Fachschaft der TU Berlin anläßlich der Ausladung von Prof.Amendt verfolgt habe und mir schmerzlich bewußt wurde, daß ich in diesen Gedankenquark von Kommentaren kaum eine pointierte Meinungsäußerung zuwege gebracht hätte. Da ist alles Murks und beide Seiten kommen nicht sehr gut weg. Obwohl ich eigentlich ganz gut weiß auf welcher Seite ich stehe.
Zu Hadmut.
Bei der von Dir geschilderten Auseinandersetzung bin ich eher auf Hadmuts Seite. Als singuläres rauspicken des Problems hast Du aber recht. Ich lese die Kommentare bei Hadmut kaum, weil sie größtenteils Gepöbel mit vernachlässigbarem Inhalt sind.
Allerdings finde ich Deine nachfolgende Auseinandersetzung mit ihm auch wenig hilfreich. Er ist ein echter Don Quichote. Genderismus ist nun ein gutes Opfer, aber er könnte auch auf NP-Vollständigkeit rumhacken. Adele und die Fledermaus ist in dieser Beziehung auch vielsagend. Er hat einige gute Ansätze und in der Klageschrift steckt auch einiges darin. Aber ernsthaft, das ist gar keine Klageschrift, das ist ein allumfassendes Pamphlet. Keine Ahnung wie eine Klageschrift aussieht, aber gewiß nicht so. Fefe hat vor längerem schon sinngemäß gesagt, wer Freunde wie Danisch hat, braucht keine Feinde.
http://blog.fefe.de/?ts=b11dc229
achdomina sagte:
Danke, interessant. Schade, dass Fefe Antifeminismus mit Neanderthalertum verbindet. Aber vor einem halben Jahr oder so hätte ich das wohl auch noch getan.
Bei der Klageschrift denke ich auch, der Rechtsstreit dreht sich ja eigentlich um das Auskunftsrecht, und die ganze Argumentation gegen Gender ist eher die Begründung dafür, dass er Auskunft will. Ist die überhaupt relevant? Aber wie gesagt, dass sich da mal einer durchwühlt, ist sehr verdienstvoll.
wolle pelz sagte:
Tja, das mit dem „Nazisprech“ ist dann wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen. Der Twitterdialog mit „HD“ spricht eher für „HD“. Ich habe oft mitbekommen, dass er viele befremdliche Kommentare eben nicht zugelassen hat. Ihn mit sowas in Verbindung zu bringen ist falsch.
Genau das muss ich kritisieren. Dieser Beitrag ist für mich leider – um es mit „HD“s Worten zu sagen eher… Ich schreibe es nicht…
Was sich aber deutlich zeigt, ist die Kluft zwischen der Wahrnehmung von Wissenschaft die zwischen Informatikern – also Angehörigen einer „künstlichen Naturwissenschaft“ – und Sozialwissenschaftlern herrscht.
Ich halte es mittlerweile eher mit den Informatikern.
achdomina sagte:
Für mich gibt es für eine solche Kluft keine sachlichen Gründe.
wollepelz sagte:
Dann sollte man die Kluft nicht bedienen.
LoMi sagte:
Ich habe noch nicht alles gelesen. Aber ich habe die von Dir beschriebene generelle Antihaltung von Danisch gegenüber der Sozialwissenschaft schon lange verfolgt. Ich finde seine Kritik grundverkehrt und vor allem frei von jeder Kenntnis der Soziologie. Beim Überfliegen Deines Artikels habe ich gesehen, dass Du seine „Sozialwissenschaft“ aufs Korn genommen hast. Ich selber hatte auch oft darüber nachgedacht, das mal aufzuzeigen: Wie viele Kritiker der Soziologie am Ende eben doch eine Art von (naiver) Soziologie machen, indem sie bestimmte Wirkungszusammenhänge behaupten. Es fällt ihnen dabei aber nicht auf, dass sie das tun.
Ich sehe darin ein Zeichen eines mangelnden universellen Wissenschaftsethos. Feminismuskritik wird dadurch schnell zum Vehikel einer traditionellen Kritik von MINT-Vertretern an Geistes-und Sozialwissenschaften. Man klopft sich selbst auf die Schulter, weil man ja der wissenschaftlicheren Wissenschaft angehört. Das ist schließlich auch nur wieder Indiz für mangelnden Blick über den Tellerrand hinaus in andere Disziplinen.
Gewiss trägt die Soziologie oft genug selber zu ihrem schlechten Ruf bei. Aber im Fall von Danisch ist es eben auch Vorurteil, was in der Behauptung über das vermeintliche Unwissen der Soziologen über Korrelation ungleich Kausalität sehr deutlich wurde. Ein Blick in ein Statistiklehrbuch hätte genügt, diesen Irrtum aufzuklären.
Christian - Alles Evolution sagte:
„Das Hauptproblem mit dem Theoretisieren auf der Grundlage evolutionsbiologischen Halbwissens, das im Gefolge von Richard Dawkins populär geworden ist, besteht darin, dass man damit alles “beweisen” kann (…)
Zu dem dann folgenden schreibe ich noch mal einen eigenen Blogbeitrag, ist ja eines meiner Hauptthemen.
Mich würde aber interessieren, welche Theorien du zu der Entwicklung der Geschlechterrollen vertrittst und welchen Anteil Biologie du da siehst. Vielleicht kennst du da ja einige interessante Studien aus der Soziologie?
achdomina sagte:
Nee, mit solchen Studien kann ich leider nicht dienen. Wie Lucas Schoppe neulich in seinem Beitrag über Zombie-Feminismus geschrieben hat, wäre der Gender-Ansatz erstmal nicht zu beanstanden, wenn damit nur gemeint wäre, dass die Konstruktion von Geschlechterrollen erforscht werden soll. „Dass beispielsweise Frauen im Normalfall eher Kleider und lange Haare tragen als Männer, ist offenkundig keine Naturnotwendigkeit, sondern eine soziale Konvention“ (Schoppe). Da Männer und Frauen aber zum Beispiel unterschiedliche Hormonhaushalte haben und wir wissen, dass diese mit Unterschieden in Wahrnehmung, Empfinden, Verhalten zusammenhängen, ist für mich aber auch klar, dass es auch biologisch begründete Unterschiede über das reine Sexualverhalten hinaus gibt.
Mein Eindruck ist, dass in dieser Frage wirklich eine Forschungslücke klafft, weil die Genderisten das an sich legitime Thema besetzt haben und damit aber etwas ganz anderes machen als Forschung. Das ist wirklich ein Problem der Soziologie, und der darf man gerne auch nachdrücklich vorwerfen, dass sie das duldet. Aber das beste Mittel dagegen wäre aus meiner Sicht seriöse Soziologie, die etwas besseres vorlegt, nicht eine Verurteilung aller Soziologie, die gar nichts vorlegt.
Bin gespannt auf Deinen Beitrag!
St. Elmo sagte:
„Das mag nach Spitzfindigkeiten klingen“
Klingt für mich nach verletzter Eitelkeit auf beiden Seiten.
Aber bei einem hast du recht HD bewegt sich zu dicht an der Grenze zur Verschwörungstheorie,
dass es nur noch ein winziger Schritt zur Unglaubwürdigkeit ist.
man.in.th.middle sagte:
Viel Text, in der Tat, den ich stellenweise nur überflogen habe, weil ich Danisch nicht für Gott Vater halte und ich sowieso davon ausgehe, stellenweise Unsinn vorzufinden. Da ich selber eindeutig naturwissenschaftlich geprägt bin, ärgert mich der Unsinn in philosophischen oder sozialwissenschaftlichen Fragen auch nicht so sehr wie jemanden vom Fach. Eine Bewegung braucht außerdem Einpeitscher, die die Fünfe auch mal gerade sein lassen. Insofern sollte man immer berücksichtigen, welche Rolle bestimmte Personen spielen.
Auch wenn die Kritik an Danisch zutrifft, wäre es mMn besser gewesen, ihn nicht so sehr in den Vordergrund zu stellen, das Problem ist nämlich prinzipieller. Danisch ist nur ein Beispiel von mehreren. Der folgende Satz bringt es auf den Punkt:
„… ohne entsprechende Ausbildung, im Alleingang nach Feierabend, eine bessere Sozialwissenschaft und Philosophie aus dem Ärmel schütteln kann als Jahrhunderte, im Fall der Philosophie Jahrtausende von darauf spezialisierten Denkern und Forschern vor ihm sie aufeinander aufbauend erarbeitet haben.“
Ist das nicht bei praktisch allen so, die in dieser Szene aktiv sind? Die Frage nach der wissenschaftliche Qualifikation der Beteiligten wird generell diskret umschifft, ist aber sehr zentral. Wobei weniger manchmal mehr ist. Ich will nicht 3 Semester Philosophie studieren müssen, um zu wissen, welche Partei ich wähle. Man lebt nicht ewig, man kann nicht alles lernen. Die Kritik am Qualifikationsniveau führt der direkt zur Gegenfrage:
Was ist denn das Qualifikationsniveau, das die Mehrheit der Beteiligten aufweisen sollte?
Ich hadere an diesem Problem aus einer etwas anderen Perspektive (dem Motto meines Blog, Anfänger zu motivieren) schon länger herum, nämlich wie man mit einem grundlegenden Qualifikationsniveau politisch sinnvoll aktiv werden kann und auf welches Glatteis man sich begibt, wenn man über dieses Grundniveau hinaus will. Mehr dazu hier:
http://maninthmiddle.blogspot.de/p/faq.html#wissenschaftstheorie
„Auf dem Weg zu einer maskulistischen Wissenschaftstheorie“
Kurzfristig am realistischsten scheint mir die Entwicklung eines methodischen Qualifikationsahmens zu sein, weil man dazu nur einige gute, möglichst kompakte Einführungen bräuchte, die vermutlich schon irgendwo vorhanden sind.
„Dass heutige Philosophie-Absolventen oft schwafeln – joah, geschenkt.“
Nein, nicht geschenkt. Speziell die Genderforschung hat den Ruf der Philosophie und Soziologie gründlich beschädigt, weil sie politisch / gesellschaftlich am lautesten auftritt, ohne daß eventuell qualifiziertere Zweige irgendwelchen Protest eingelegt hätten. Da haben die seriösen Zweige schlicht eine Bringschuld, diesen öffentlich verbreiteten Unsinn zu bekämpfen.
Die beiden folgenden Statements unterstütze ich voll:
„Das Hauptproblem mit dem Theoretisieren auf der Grundlage evolutionsbiologischen Halbwissens, das im Gefolge von Richard Dawkins populär geworden ist, besteht darin, dass man damit alles „beweisen“ kann.“
„Einen eifersüchtigen „meins ist besser als deins“-Grabenkrieg zwischen Natur- und Geisteswissenschaftlern halte ich für ungefähr so albern wie Jungs gegen Mädchen“
Das folgende würde ich anders fassen:
„Da das Glaubenssystem des Genderismus sich vor allem auf Annahmen über die menschliche Natur und Gesellschaft stützt, stellt sich die Frage, ob er nicht qualifizierter und glaubwürdiger von jemandem kritisiert werden kann, der sich mit so was auskennt“
Es ist bedauerlich, daß diese Personen, die sich auskennen, diese Kritik nicht längst lautstark geäußert haben. Niemand wird daran gehindert. Immer her damit.
achdomina sagte:
„Was ist denn das Qualifikationsniveau, das die Mehrheit der Beteiligten aufweisen sollte?“
Gut, dass Du das fragst. Ein elitäres „lass mal die Leute vom Fach ran“ ist nämlich überhaupt nicht das, was ich vertreten würde. Deswegen ist der Text so lang geworden. Ich hätte auch einfach Fachbegriffe hinklatschen und auf Quellen verweisen können, aber das befördert ein wissenschaftliches Sektierertum, das es längst nicht nur bei den Gender Studies gibt. Das ist völlig nutzlos, außer vielleicht für mein Ego. Den Eindruck zu erwecken, man hätte irgend eine tiefere Einsicht oder eine Deutungshoheit, nur weil man einen Fachbegriff kennt, halte ich für unseriös und schädlich. Leider passiert das alltäglich. Deswegen bin ich das mit den Begriffen als Fetischen und der Korrelation und Kausalität so detailliert durchgegangen.
Meiner Ansicht nach kommt man mit einem echten Interesse an Wissen und der Bereitschaft zur Benutzung des eigenen Kopfes und zur Selbstkritik schon sehr weit. Man sollte ein bisschen was gelesen haben. Wenn man noch nicht mal auf dem Kenntnisstand von jemandem ist, der einen Wikipedia-Artikel zu einem Thema überflogen hat, halte ich das für etwas wenig. Auf der anderen Seite ist es auch nicht schwer, Formulierungen zu verwenden, die deutlich machen, dass man etwas nicht genau weiß. Vermutungen sind auch nichts Böses, aber man sollte sich und dann auch anderen klar machen, was Wissen und was Vermutung ist.
Revan sagte:
Sehr guter Artikel, ich halte es mit HD ähnlich. Seine Kommentarspalte klingt meist nach PI und das ist nun wirklich nicht meine Welt.
„Nazisprech“ ist sicherlich eine sehr harte Formulierung aber gerade auf Twitter muss man sich kurz fassen.
Die Überschrift ist übrigens genial und ich musste herzhaft lachen 🙂
St. Elmo sagte:
Ist das nicht das Hauptproblem von Twitter, bzw. der Grund warum Twitter so erfolgreich ist,
das der Text kurz gehalten werden muss und dadurch zu missverständnissen führen kann?
crumar sagte:
Ich teile alles, was du über die Beiträge von Danisch geschrieben hast und bin sehr skeptisch, was die Redlichkeit seines Anliegens betrifft.
Die Positionierung gegenüber dem Genderismus sollte m.E. nicht sein, Sozialwissenschaften zu verurteilen, weil aus diesen der Genderismus hervorging bzw. diese unter Generalverdacht zu stellen.
Sondern weil der Genderismus falsche Erklärungen der sozialen Wirklichkeit produziert.
Dies Falschheit der Annahmen und Aussagen wäre aber zu beweisen und nicht durch Abwertung des Personals oder des Fachs herzustellen.
Danisch wiederholt im Grunde spiegelbildlich, wie die Genderisten mit biologischen Erklärungen verfahren: da die Eugenik mit der Genetik verbunden ist, ist sie moralisch verwerflich. Weil sie moralisch verwerflich ist, darf sie für Erklärungen nicht herangezogen werden.
Das ist nicht wissenschaftlich, das ist denkfaul.
Seine Aversion gegenüber der Philosophie ist für mich außerdem im höchsten Maße unverständlich. Ohne Philosophie keine Logik, ohne Logik keine Informatik.
Womit ich weniger einverstanden bin, sind deine Ausführungen zu dem Unterschied zwischen Natur- und Sozialwissenschaft und zur Erkenntnistheorie.
Ein fundamentaler Unterschied, den du schlicht nicht berücksichtigst: der Test auf eine naturwissenschaftliche Theorie ist das Experiment.
Mögen die Wahrnehmungen eines Dings intersubjektiv noch so unterschiedlich sein und „Gravitation“ auch nur eine begriffliche Konvention – im Experiment, in der experimentellen Praxis zeigt sich, ob sich die Theorie bewährt oder eben scheitert.
Dies zeigt demnach auch, ob das Ding richtig wahrgenommen worden ist oder falsch.
Setzt du den Maßstab so, als wäre Realität bloß Produkt unserer Wahrnehmung, so gäbe es keine wissenschaftliche Erkenntnis.
Denn wir könnten uns auch in der Wahrnehmung der Resultate des Experiments täuschen.
Was du als richtig wahrgenommen hast, habe ich als falsch wahrgenommen.
Der Charme der Physik besteht jedoch daraus, dir immer wieder den selben Stein auf die Füße werfen und genau vorhersagen zu können, wann er dich trifft (und zwar auch in der Nacht, wenn du ihn gar nicht siehst). 😉
Und das Problem vieler Naturwissenschaftler ist m.E., sie hätten gerne a. eine gaaaanz einfache Theorie menschlichen Verhaltens, die b. ihrer Weltsicht unmittelbar zugänglich ist.
Die Sozialwissenschaft ist zwar eine vergleichsweise junge Wissenschaft, so ganz untätig waren sie aber nicht in den letzten 140 Jahren. Irgendwann kommt das auch bei den Naturwissenschaftler, Ings und Informatikern an.
Gruß, crumar
achdomina sagte:
Realität ist nicht Produkt unserer Wahrnehmung, aber Wissen ist Produkt unserer Wahrnehmung, und es gibt keinen Weg, an unseren Wahrnehmungsmöglichkeiten vorbei etwas wahrzunehmen. Wenn ich Deinen Satz ein bisschen umstellen darf: In der experimentellen Praxis zeigt sich, ob sich die begriffliche Konvention bewährt oder scheitert. Genau.
Unsere Wahrnehmungen sind eben nicht beliebig-chaotisch. Wissenschaft kann m.E. nicht Wahrnehmung umgehen, aber sie kann Wahrnehmung systematisieren und – wiederum durch andere, gezielte Wahrnehmungen – kontrollieren. Diejenigen Wahrnehmungen, die intersubjektiv reproduzierbar sind und erhalten bleiben, gelten dann als gesichert oder „objektiv“.
Die Sozialpsychologie, vor allem die einflussreichste aus den USA, arbeitet übrigens auch schwerpunktmäßig experimentell.
Hier war ja viel von Evolutionstheorie die Rede. Wie kommt man eigentlich dazu, die für gültig zu halten? Sie ist eine gedankliche Verknüpfung von Einzelbeobachtungen zu einem widerspruchsfreien Modell von Zusammenhängen. Nun kann man Einzelbeobachtungen auf unendlich viele Arten und erstmal beliebig miteinander verknüpfen. Der Witz ist aber, dass ein Modell wie die Evolutionstheorie Vorhersagen ermöglicht, zum Beispiel dass es keine Spezies geben sollte, die plötzlich irgendwo auftaucht und keine Vorläufer hat. Wenn das passieren würde, hätte die Theorie ein Problem. Solange das nicht passiert und alle neuen biologischen Beobachtungen zu den Vorhersagen der Theorie passen, ist sie gültig. Was ist jetzt hieran das spezifisch Naturwissenschaftliche, das der Theorie einen höheren Geltungsanspruch oder eine größere Gewissheit verleiht? Ich würde sagen, eine Gesellschaftstheorie kommt auf genau dieselbe Art zustande, und ist/wäre genau auf dieselbe Art zu Fall zu bringen. Indem man etwas findet, das es ihr zufolge nicht geben dürfte.
Begriffliche Konventionen beinhalten immer solche Vorhersagen. Behauptungen darüber, wie sich das Ding verhalten wird, wo es auftauchen wird und wo nicht usw. An denen lässt sich messen, ob die Konventionen „richtig“ sind. Richtig ist, was den Zweck erfüllt, die gewünschten Vorhersagen zu ermöglichen. Die Mechanik ermöglicht vergleichsweise sehr exakte Vorhersagen, aber halt nur in ihrem Gegenstandsbereich. Schon in der Biologie, auch bei simpleren Lebensformen, kommt man mit mechanischen Modellen nicht mehr weit.
Der Stadtfuchs sagte:
„Indem man etwas findet, das es ihr zufolge nicht geben dürfte.“ Aber genau das passiert doch, in den Sozialwissenschaften mit ihrem aktuellen Sozialkonstruktivismusfimmel. Das Phänomen des „Gender Equality Paradox“ ist allgemein bekannt, und eigentlich müssten nur alleine deswegen die Sozialwissenschaftler als wissenschaftliche Gemeinschaft hergehen und die Gender“wissenschaft“ als widerlegt verwerfen. Passiert aber nicht. Noch nicht mal ansatzweise. Und da setzt die natur/ingenieurswissenschaftliche Kritik an der Wissenschaftlichkeit des ganzen Faches an. So lange die Sozialwissenschaften einen solchen Unsinn unwidersprochen als Teil ihres Faches akzeptieren (weil’s Gelder dafür gibt, weil man sich’s nicht mit den Frauenbeauftragten verscherzen will, weil man selber auf die entsprechenden Konferenzen fahren will, weil man sich nicht in die Nesseln setzen will etc. pp), gibt die ganze Fachgemeinschaft ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit auf. *Das* ist die Kritik, und vielleicht muss man von außen auf das Fach schauen, um diese fatale Entwicklung in den Sozialwissenschaften zu erkennen.
derdiebuchstabenzaehlt sagte:
@ crumar
Ich halte Danischs Anliegen schon für redlich!
Warum sollte zB eine Kritik am Personal der Gendersens schlecht sein? Du machst doch das Gleiche mit Danisch.
Die Sozialwissenschaften werden nicht kritisiert weil aus ihnen Gender hervorging, sondern weil die Sozialwissenschaften Gender nicht kritisieren. Nicht zu Kritik bereit sind! Was bitte soll man von einer solchen Wissenschaft halten, die ein solch wichtiges Feld sich weigert zu bearbeiten?
Was soll das denn für ein Argument sein, daß es ohne Philosophie letztlich keine Informatik gebe? Kann doch erstens sein die Logik wäre auch auf anderem Weg entwickelt worden und zweitens kann die Philosophie ja wirklich auf den Hund gekommen sein! Soll hier etwas gegen Kritik imunisiert werden?
Auch hat Danisch doch genügend „Erkentnisse“ der Genderlehre als erfundene Behauptungen darstellen können!
crumar sagte:
Hmmm…
Das Problem an der Umschiffung des Begriffs der „Realität“ ist, dass er sich indirekt immer wiederfindet in der Argumentation desjenigen, der ihn zu vermeiden sucht.
Du schreibst:
„Realität ist nicht Produkt unserer Wahrnehmung, aber Wissen ist Produkt unserer Wahrnehmung, und es gibt keinen Weg, an unseren Wahrnehmungsmöglichkeiten vorbei etwas wahrzunehmen.“
Das philosophische Problem, dass du zu umgehen suchst ist, ob es eine Realität außerhalb unserer individuellen Existenz gibt.
Konkret: gibt es das „Ding an sich“ oder gibt es dieses Ding nicht.
Ich schwöre dir: der Stein, den ich dir habe auf den Fuß fallen lassen, werde ich dir auch auf dein Grab legen. Womit bewiesen wäre, er existiert unabhängig von deiner Wahrnehmung.
Zu diesem Zweck benachrichtige mich bitte rechtzeitig von deinem Ableben! 😉
Du wiederholst hier letztlich einen Streit, den wir schon einmal hatten.
Du bist Mach (2.0).
Ob wir die Auseinandersetzung nun „Perzeption“ nennen oder Wahrnehmung ist eigentlich egal.
Den meisten Steinen (99.999%) ist es völlig Wurst, ob du existierst (die restlichen haben auf 8 mal 4 Kilometern den Spruch geformt: „Kack nicht auf unseren Kopf!“ – unglücklicherweise auf dem Boden des Mariannengrabens).
Es gibt auch keinen Ausweg aus diesem Dilemma, indem du behauptest, das „Ding an sich“ sei nur existent, indem wir es in ein „Ding für uns“ verwandeln (dieser gruselige Fehlschluss behindert die Linke eher im ökologischen Sinne, als das es ihr nutzt)..
Weder brauchen Steine Geologen, noch Vögel Ornithologen (leider eher nicht) – es ist eher so, dass der Gegenstand der Wissenschaft auf real existierende (und aussterbende) Bestien verweist und nicht auf die in „Avatar“.
Was ich eigentlich sagen will: Ich raffe nicht, warum Sozialwissenschaftler diese Minderwertigkeitskomplexe mit sich herumtragen.
Du schreibst:
„Was ist jetzt hieran das spezifisch Naturwissenschaftliche, das der Theorie einen höheren Geltungsanspruch oder eine größere Gewissheit verleiht? Ich würde sagen, eine Gesellschaftstheorie kommt auf genau dieselbe Art zustande, und ist/wäre genau auf dieselbe Art zu Fall zu bringen. Indem man etwas findet, das es ihr zufolge nicht geben dürfte.“
Weil das zwei verschiedene Dinge sind.
Ich würde einfach nicht von dir erwarten, dass ich dir Steine auf den Fuß werfe und du lernst: „Aua! Stein!“.
Es wäre doch wenigstens eine praktische Maßnahme denkbar, in der du das Experiment unterbrichst.
Also den Fuß wegziehst.
Ob du nun göttliche Gebote geltend machst oder den Humanismus oder Kant,
Der Punkt ist, selbstbewusst zu formulieren, dass es Menschheitsgeschichtlich höhere Maßstäbe gibt, die es mir verbieten sollten für die meine Befriedigung die Bombardierung deiner Füße experimentell zu benutzen.
DAS ist euer Job aus meiner Sicht.
Gruß, crumar
achdomina sagte:
Ich sage überhaupt nicht, dass es das Ding an sich, den Stein, die Realität nicht gibt. Ich sage, das, womit wir hantieren, sind Wahrnehmungen und Begriffe. Ich sehe auch keinen Grund, den Begriff „Realität“ zu vermeiden, weil wir sie doch wahrnehmen und ihre Konstanz und Beschaffenheit z.B. mit Steinen testen können. Aber eben im Rahmen unserer Wahrnehmungsmöglichkeiten, die sich durch Lernen, Systematisierung und technische Hilfsmittel erweitern lassen. Wie sieht ein nicht wahrnehmbares Ding aus? Die Frage ist unsinnig. Es sieht überhaupt nicht aus.
Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio schreibt:
So stellt es sich physiologisch dar. Das Gehirn repräsentiert Wahrnehmungen und deren Verallgemeinerungen, Assoziationen usw. Mit diesen Repräsentationen arbeiten wir. Damit leugnet man nicht die Realität dessen, was da repräsentiert ist.
LoMi sagte:
Ich habe mir Deinen Artikel mittlerweile ganz durchgelesen. Ich stimme Dir zu in den meisten Aussagen. Du hast Dir viel Mühe gegeben, Deinen Standpunkt zu begründen. Hut ab.
Auch an @ crumar:
Ich meine, Ihr missversteht Euch. Crumar hat recht, wenn er einen Unterschied zwischen Sozial- und Naturwissenschaft betont, weil der Mensch denkt und sein Handeln auswählt. Das soll wohl gemeint sein mit dem STein-Beispiel: Der Mensch zieht seinen Fuß zurück, er kann es jedenfalls. Er handelt nicht zwanghaft immer gleich.
Das wissen Soziologen aber und genau das stellen sie auch in Rechnung und genau deshalb formulieren sie keine Gesetzesaussagen mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
achdomina hat aber auch Recht, weil er einen anderen Punkt angesprochen hat: Natürlich formulieren Sozialwissenschaftler auch Wenn-Dann- Aussagen und sie erheben den Anspruch, dass diese Aussage in einem gewissen Rahmen gültig ist. Sie geben Kriterien an, wann diese Aussage gilt. Solche Aussagen sind anhand empirischer Daten überprüfbar. Sie sind dann eben auch in gewisser Weise falsifizierbar. Das ist ganz unabhängig davon, dass ein Soziologe niemals Naturgesetze des Verhaltens aufstellen könnte. Er formuliert dennoch sichtbare Regelmäßigkeiten des Handelns wie auch Ursachen und Wirkungen. Und die Überprüfung solcher Aussagen durch Empirie, quasi-experimentell, ist eben auch in der Soziologie möglich und angestrebt. Und deshalb hat achdomina recht, wenn experimentelle Überprüfung kein Spezifikum der Naturwissenschaft ist. Spezifikum der Naturwissenschaft ist die tatsächlich vorhandene Gesetzlichkeit der Phänomene, während Regelmäßigkeiten in der Sozialwelt veränderbar sind.
man.in.th.middle sagte:
@LoMi:
Ich sehe den Kommentar erst jetzt, er scheint inhaltlich weitgehend konsistent mit meinem untenstehenden zu sein.
Den Begriff „sichtbare Regelmäßigkeiten des Handelns wie auch Ursachen und Wirkungen“ fand ich interessant.
„Und die Überprüfung solcher Aussagen durch Empirie, quasi-experimentell, ist eben auch in der Soziologie möglich und angestrebt.“
Dieser allgemeingehaltenen Aussage kann man natürlich zustimmen. Allerdings schätze ich den Grad der Vertrauenswürdigkeit der quasi-experimentell validierten Regelmäßigkeiten als sehr viel geringer ein als von Natur“gesetzen“, die Grundlage der Ingenieurwissenschaften sind.
crumar sagte:
Ich versuche noch mal eine Klärung, indem ich dir mit dem von dir geschriebenen Recht gebe:
„Die Mechanik ermöglicht vergleichsweise sehr exakte Vorhersagen, aber halt nur in ihrem Gegenstandsbereich. Schon in der Biologie, auch bei simpleren Lebensformen, kommt man mit mechanischen Modellen nicht mehr weit.“
Genau das habe ich gemeint mit dem „Charme der Physik“ – relativ einfache Gesetze mit hoher prognostischer Qualität, die beliebig oft reproduzierbar und im Experiment falsifizierbar sind.
Und es liegt nahe – und ist zugleich ein großer Fehler – ein mechanisches Modell aus dem Gegenstandsbereich der Mechanik zu übernehmen und es auf etwas wie „Gesellschaft“ oder „Handeln“ zu übertragen.
So verfahren leider viele Naturwissenschaftler und auch Informatiker.
Man braucht sich aber nur das Scheitern der Forschung im Bereich der „künstlichen Intelligenz“ vor Augen führen um zu realisieren, dass Menschen nicht nach einem Skript handeln.
Ich kann mir vorstellen, dass Danisch z.B. eine Analogie sieht, bzw. *konstruiert*, die gar nicht existiert, nämlich: „Gene(tik)=Programm“.
Der praktische Nutzen dieses Kurzschlusses ist m.E., die gesamte Welt lässt sich mit den Gesetzen der Informatik erklären – und alle diese Erklärungen werden mit 99%iger Wahrscheinlichkeit falsch sein.
Es wäre prima, wenn naturwissenschaftlich orientierte Menschen ein wenig bescheidener auftreten, sobald sie ihren Forschungs- und Tätigkeitsbereich verlassen.
Und nicht ungefragt unterkomplexe Erklärungen für Sachverhalte anbieten, von denen sie nicht den Hauch von Ahnung haben.
Nun zu dem Punkt, der mich noch immer stört.
Und vorsichtshalber teile ich den Beitrag.
crumar sagte:
So, zweiter Teil und Versuch einer Klärung an Hand des von dir zitierten.
Du zitierst Damasio:
„Die Vorstellung dessen, was wir heute als dreidimensionalen Raum konstruieren, wird demnach im Gehirn entwickelt – ausgehend von der Anatomie des Körpers und seinen Bewegungsmustern in der Umwelt.“
Das ist schon entweder unglücklich formuliert oder schlicht falsch.
Die „Konstruktion“ legt eine schöpferische Tätigkeit nahe, die 1. so nicht existiert und 2. der Satzaufbau legt eine Abfolge nahe, die dem widerspricht, er anerkenne eine unabhängig vom ihm existierende Realität.
Der „dreidimensionale Raum“ ist die Realität, die *vor* dem Gehirn existiert und ein Mensch ist mit seiner Anatomie und Wahrnehmung ist darauf angewiesen, diese möglichst exakt in seinem Gehirn zu „repräsentieren“.
Ob er die Realität, seine Umwelt adäquat wahrgenommen hat, beweist sich im Erfolg oder Misserfolg seiner „Bewegungsmuster“ in dieser Realität – also in der Praxis.
Auch hier:
„Zwar gibt es eine äußere Wirklichkeit, doch das, was wir von ihr wissen, erfahren wir, wie ich meine, durch den Körper in Bewegung, durch Repräsentationen seiner Störungen.“
Wenn er sich bei seinen Bewegungen permanent mit dem Fuß an einem Stein stößt, dann hat er die Realität inadäquat wahrgenommen – ich nehme an, das meint er mit der „Repräsentation seiner Störungen“.
Der Stein ist jedoch ebenso real wie der Schmerz; egal wie er sich im Hirn „repräsentiert“.
Das verschämte „zwar“ relativiert genau die praktischen Erfahrungen von Menschen in der Realität, die zu den Erfahrungen führen, die Wissen ermöglichen.
Warum verrätselt er die simpelsten Sachverhalte?
Weil er sich m.E. hier eben verabschiedet von der Anerkennung der physikalischen Realität, des „Dings an sich“:
„Unser Geist ist real, unsere Vorstellungen von Katzen sind real, unsere Empfindungen in bezug auf Katzen sind real. Eine solche geistige, neuronale, biologische Wirklichkeit, das ist unsere Wirklichkeit.“
Das Gehirn ist real, Neuronen sind real, Katzen sind real, insofern diese in der materiellen Realität existieren. Die Repräsentation einer Katze im Gehirn als Begriff und Vorstellung von einer Katze ist aber nicht „wirklich“, sondern geschieht ideell.
Dass unser Gehirn in der Lage ist, die Wirklichkeit ideell zu reproduzieren macht den „Geist“ nicht real und unsere vorgestellte, ideelle Wirklichkeit ist eben nicht deckungsgleich mit der materiellen Realität.
Er macht damit die Realität letztlich zu einer, meiner, deiner reinen Kopfgeburt.
Deshalb wehre ich mich gegen eine solche Erkenntnistheorie.
Die führt meines Erachtens zwangsläufig in die Irre.
Schönen Gruß, crumar
El_Mocho sagte:
Aber das Gehirn ist doch wohl ein real existierendes, materielles, biologisches Objekt, oder? Wenn das Gehirn die Welt hervorbringt, wie ist dann die Existenz des Gehirns zu erklären?
achdomina sagte:
Hat keiner gesagt, dass das Gehirn die Welt hervorbringt. Im Gegenteil, die Welt ist ja viel umfassender als das, was wir wahrnehmen können. Keiner von uns hat vollständig die ganze Welt in seinem Hirn repräsentiert oder wäre dazu in der Lage. Darum geht es ja gerade.
Seitenblick sagte:
@Crumar
„Damasio … Die “Konstruktion” legt eine schöpferische Tätigkeit nahe, die 1. so nicht existiert …
Konkret: gibt es das “Ding an sich” oder gibt es dieses Ding nicht.“
Hallo Crumar. Wir hatten eine ähnliche Debatte ja schon mal bei Schoppe ;-).
Ich glaube, dass hier zwei Fragen unnötig vermengt werden:
a. Die Frage, welchen Standards eine Genderforschung genügen müsste, die als Wissenschaft Ernst genommen werden kann. Nebenbei: Ich glaube, dass es so etwas geben kann und das es eine sinnvolle Wissenschaft wäre.
b. Die erkenntnistheoretische Frage „Konstruktion“ oder „Ding an sich“, Abbildtheorie der Erkenntnis oder Erkenntnis als aktive Konstruktion.
Ich berufe mich – wieder mal – auf Kant, für den es kein Ausschlussverhältnis gibt zwischen „es gibt ein Ding an sich“ und „wir sind Konstrukteure dessen, was wir Wirklichkeit und Erkenntnis nennen“.
Das schließt sich bei ihm deshalb nicht aus, weil aus der Anerkennung eines Konstruktionsanteils (= unser Verstandesapparat, unsere Kategorien formen die Aussagen, wir erkennen nie das Ding an sich!) eben gerade nicht eine Beliebigkeit der Aussagen folgt. Auch dann müssen die Sätze bestimmten Anforderungen genügen, nämlich denen der Vernunft.
Deshalb kann man von einer Genderwissenschaft fordern, dass sie Kriterien wie Widerspruchsfreiheit, Ableitung ihrer Aussagen aus auch für Außenstehende nachvollziehbaren Datas, Folgerichtigkeit anstelle von Beliebigkeit, fehlende Immunisierung gegen Falsifizierbarkeit, präzise Angaben zu ihrem Gegenstandsbereich und Nachweis, inwiefern ihre Methoden für diesen adäquat sind, überhaupt intersubjektive und damit rationale Nachvollziehbarkeit anstelle von „kann man erst verstehen, wenn man die mystische Erleuchtung in einer Frauenselbsthilfegruppe hatte“, erfüllt.
Dass der Gender-Mainstream von einer harten Methodenkritik, auch durch die restliche Soziologie, so verschont geblieben ist, ist in der Tat ein interessantes Phänomen.
Die Frage ist, wie man das wissenschaftliche Imunsystem auf diesen Fremdkörper ansetzen kann.
Pingback: “Beim Theoretisieren auf der Grundlage evolutionsbiologischen Halbwissens kann man alles “beweisen”” | Alles Evolution
Heinz sagte:
„Wenn ich nun unbedingt “Zigeunersoße” schreiben wollte, könnte ich das doch tun.“
Damit bist du bereits politisch unkorrekt.
Politisch unkorrekt heißt lediglich, dass man sich nicht jedes Wort und jeden Gedanken von irgendwelchen Gutmenschen vorschreiben lässt, nicht dass man Nazi ist.
crumar sagte:
@Seitenblick
(Sorry Heinz, weder Opera noch Firefox zeigen mir eine Antwortmöglichkeit unter seinem Beitrag an!)
Schön, dass wir uns hier treffen! Gruß!
Zuerst: Es schmerzt mich, wenn man mir unterstellt, ich sei ein Anhänger der „Abbildtheorie“, denn das ist so nicht richtig. Nur philosophisch Materialist und reite daher auf der Anerkennung einer materiellen Realität herum, die außerhalb unserer individuellen Existenz existiert. We agree to disagree an dem Punkt. 😉
1. Wir haben uns bei Schoppe auseinandergesetzt über den (epistemeologischen) Relativismus im Genderismus und wenn ich dies bspw. lese:
„Unser Geist ist real, unsere Vorstellungen von Katzen sind real, unsere Empfindungen in bezug auf Katzen sind real. Eine solche geistige, neuronale, biologische Wirklichkeit, das ist unsere Wirklichkeit.“
dann bekomme ich die Krätze. Dieses Denken breitet sich m.E. aus wie eine Seuche.
Denn wenn der individuelle („unsere“) Geist real, also wirklich, ist und unseren Empfindungen auf ein Objekt per se zugestanden wird real zu sein, hast du ein echtes Problem bei deiner Diskussion mit der Frauenselbsthilfegruppe.
Wenn die, nämlich deren geistige Wirklichkeit identisch ist mit der, nämlich ihrer biologischen Wirklichkeit erst Recht.
Du schreibst (und ich stimme zu):
„Auch dann müssen die Sätze bestimmten Anforderungen genügen, nämlich denen der Vernunft.“
An welchem Punkt möchtest du denn mit Vernunft ansetzen?
Wieder. „Frösche oder Vögel, die Katzen betrachten, sehen sie unterschiedlich, und das tun auch die Katzen selbst.“ – deren wechselseitige Vorstellungen voneinander durch die unterschiedliche Wahrnehmung ebenfalls real ist.
Ist vom Standpunkt des Froschs gesehen „Vernunft“ aber nicht auch nur eine patriarchalische Katzen-Konstruktion?
Damit meine ich „Vernunft“ als Vernunft anzuerkennen; bedarf der intersubjektiven Verständigung und dann den WILLEN; sich den Regeln der Vernunft zu unterwerfen.
2. Du schreibst und ich stimme dir abermals zu:
„Deshalb kann man von einer Genderwissenschaft fordern, dass sie Kriterien wie Widerspruchsfreiheit, Ableitung ihrer Aussagen aus auch für Außenstehende nachvollziehbaren Datas, Folgerichtigkeit anstelle von Beliebigkeit, fehlende Immunisierung gegen Falsifizierbarkeit, präzise Angaben zu ihrem Gegenstandsbereich und Nachweis, inwiefern ihre Methoden für diesen adäquat sind, überhaupt intersubjektive und damit rationale Nachvollziehbarkeit.“
Das Problem ist, das sie all das weder leistet, sondern im Gegenteil philosophisch äußerst engangiert die Kriterien „dekonstruiert“, denen sie genügen sollte und einen empirischen Müll fabriziert, der nur noch dazu dient politisch verwertbare Kamapagnen zu unterfüttern.
Und damit durchkommt. Das ist das Problem.
Der Stadtfuchs schreibt oben:
„So lange die Sozialwissenschaften einen solchen Unsinn unwidersprochen als Teil ihres Faches akzeptieren (weil’s Gelder dafür gibt, weil man sich’s nicht mit den Frauenbeauftragten verscherzen will, weil man selber auf die entsprechenden Konferenzen fahren will, weil man sich nicht in die Nesseln setzen will etc. pp), gibt die ganze Fachgemeinschaft ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit auf. *Das* ist die Kritik, und vielleicht muss man von außen auf das Fach schauen, um diese fatale Entwicklung in den Sozialwissenschaften zu erkennen.“
Und damit hat er leider nicht ganz Unrecht.
Wenn du schreibst:
„Dass der Gender-Mainstream von einer harten Methodenkritik, auch durch die restliche Soziologie, so verschont geblieben ist, ist in der Tat ein interessantes Phänomen.
Die Frage ist, wie man das wissenschaftliche Imunsystem auf diesen Fremdkörper ansetzen kann.“
Zum Glück bin ich kein Sozialwissenschaftler! 😉
Schönen gruß, crumar
achdomina sagte:
Um mich nochmal stereotyp zu wiederholen: Ich leugne nicht die Existenz einer materiellen Wirklichkeit, die unabhängig von unserer Existenz existiert. Damasio auch nicht, sagt er doch ausdrücklich. Er unterscheidet nur zwischen „Welt“ und „dem, was wir von ihr wissen“. Wozu bräuchte man überhaupt Wissenschaft, wenn das nicht zwei paar Schuhe wären? Wissenschaft dient dazu, „das, was wir von ihr wissen“ auszuweiten und in bessere Übereinstimmung mit der „Welt“ zu bringen.
Okay, wenn man die von dir zitierte Stelle böswillig auslegt, kann man sie so lesen, als ob er sagen wollte, unsere Wahrnehmungen seien immer und vollkommen realitätsadäquat. Aber das wäre doch Quatsch, das kann doch keiner ernsthaft behaupten.
Dass eine Vorstellung als solche, als neuronales Muster im Gehirn real ist, besagt noch lange nicht, dass sie wissenschaftlichen Wahrheitskriterien genügt. Wenn eine Gruppe von Menschen felsenfest an Hexen glaubt, dann ist dieser Glaube ein reales Geschehen in ihren Köpfen, ihren Neuronen, ihrem Empfinden und eben auch in ihrer sozialen Praxis – und wenn sie eine „Hexe“ verbrennen, ist sie real tot. In diese Richtung ging ja neulich mein Beitrag über die Triggerwarnungen. Wenn man nur fest genug daran glaubt, dass das Eintippen von „ihr seid doof“ eine fiese, verletzende Gewalttat ist, dann empfindet man das vielleicht irgendwann auch so.
Es geht doch nur darum: Es gibt ein Ding da draußen und es gibt eine Vorstellung von dem Ding in unseren Köpfen. Das sind zwei Dinge. Die Vorstellung kann mit sehr viel Fantasie angereichert sein und dem Ding lauter Eigenschaften unterstellen, die es nicht hat. Ob es die hat, kann man überprüfen. Das ist das, was die Hexengläubigen nicht tun, weil sie vielleicht zu viel Angst haben, zu dumm sind oder einfach mit ihrer Hexenpolitik zufrieden sind und keinen Bedarf nach einer Überprüfung haben.
Was Seitenblick übrigens über Kant sagt, hab ich schon vor Kant gesagt!!!!1! Bzw. ich stimme dem voll zu.
Aber wir brauchen uns auch hierüber nicht zu zerfleischen. Ich sehe eigentlich auch gar keine Unterschiede in den Konsequenzen, die wir für die wissenschaftliche Arbeit ziehen.
crumar sagte:
@achdomina
Ich bin natural born bösartig. Das am Anfang.
Und frage mich wieso, wenn einer eine begründete Meinung hat, er sie nicht exakt so hinschreiben kann, dass sie NICHT Anlass zu Missverständnissen gibt.
Denn ich war mit meiner „Wahrnehmung“ des Sachverhalts nicht alleine, sondern die Empfindung teilte man in the middle gleichermaßen.
Du hast deine Position geklärt und ich danke dir dafür.
Ich sehe den tieferen Sinn vom Wissenschaft eigentlich in Sachen Differenz von *Erscheinung* und *Wesen* einer Sache behilflich und nützlich zu sein.
Denn wenn diese beiden unmittelbar zusammenfielen, dann bräuchten wir wirklich keine Wissenschaft.
Wenn ich die Welt so sehen würde – oder anders herum, über das „geteilte Wissen“ verfügen – würde:
„Wenn man nur fest genug daran glaubt, dass das Eintippen von “ihr seid doof” eine fiese, verletzende Gewalttat ist, dann empfindet man das vielleicht irgendwann auch so.“
Dass einer solchen Empfindung das gleiche Recht hat als Gewalttat anerkannt zu werden bzw. zugesprochen wird, wie der- oder diejenige, die oder der bspw. reale physische Folter in einem Knast sonstwo erleidet, dann sind wir am Arsch.
Wenn die qualitative Differenz zwischen Tastatureingabe und Elektroschock oder water boarding eingeebnet wird, dann war es das mit den Menschenrechten.
Solche Denkweisen haben (politische und wissenschaftliche) Konsequenzen.
Reinhard Jellen im Interview mit Paula-Irene Villa (Genderprofessorin):
Er fragt: „Mein Eindruck in Sachen Geschlecht ist, dass es im ökonomischen Bereich tatsächlich einen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt – und der hängt mit der Gebärfähigkeit zusammen. Weil Kinder bekommen in Wirtschaftsprozessen nicht optimal ist, werden Frauen benachteiligt und zwar strukturell…“
„Paula-Irene Villa: Ich glaube, Sie beschreiben empirisch ganz gut, was wahrscheinlich die meisten denken und worauf sich eben genau diese Benachteiligung gründet. Was Sie nicht beschreiben, ist eine ontologische oder eine faktische Tatsache: Die Gebärfähigkeit ist zunächst mal keine gewusste Angelegenheit, kein gemeinsames Wissen. Es gibt Frauen, die noch nicht oder nicht mehr oder gar nicht gebärfähig sind, beziehungsweise sich schlicht gegen das Gebären entscheiden. Das ist nicht die logische Bedingung zur Zugehörigkeit von Frausein.“
http://www.heise.de/tp/artikel/39/39188/3.html
Wenn ich die Logik so umgestalte, dass das *nicht Wissen* um die Gebärfähigkeit der Frau schwangerschaftsverhütend wirkt, dann ist geteiltes Nicht-Wissen begründend dafür, die Gebärfähigkeit von der Entscheidung der Frau abhängig zu machen.
Individueller Voluntarismus – warum nicht?
Die logische Bedingung zum „Frau sein“ ist dann abhängig von ihrem Wissen und Wollen.
Nur bleibt dann von „Logik“ nichts mehr – zumindest nicht das, was wir bisher darunter verstanden haben.
Verstehst du meine – eventuell überzogene – Überempfindlichkeit?
Gruß, crumar
achdomina sagte:
Mich irritiert nur, dass Du so hartnäckig einen Standpunkt bekämpfst, den aus meiner Sicht hier gar keiner vertritt. Ich sage:
Und Du sagst:
???
Da wir hier das gleiche sagen, würde ich das jetzt als geklärt ansehen.
Und danke für die weiteren Ausführungen, das ist doch interessant.
Ja, und ich würde daraus die Konsequenz ziehen, ihnen diese Wertung zu bestreiten. Es ist ja normal, dass unterschiedliche Gruppen und Einzelne unterschiedlich werten und kategorisieren. Was allgemeinverbindlich gelten soll, ist eine Sache der Aushandlung. Wenn ich eine so meisterhafte Autosuggestion entwickle, dass ich an einem blöden Spruch schwer erkranke, dann heißt das nicht, dass sich alle anderen daran orientieren müssen. Wobei das natürlich auch nicht nur Wertungen sind. Welcher Schaden jemandem wirklich durch eine „Tat“ entsteht, welche Absicht der „Täter“ verfolgt hat, ob er den Schaden absehen konnte usw. sind ja Dinge, die man wieder nachprüfen kann, wenn auch in Grenzen. Nur weil mein Empfinden von irgendwas real ist, hat es noch keine Verbindlichkeit für andere. Wenn einige wenige etwas als verletzend empfinden, kann man darauf vielleicht Rücksicht nehmen, aber nicht den allgemeinen Begriff von Verletzung umdefinieren, weil der für die große Mehrheit, die das halt nicht nachempfinden kann, dann ein leerer Begriff wäre. Das wäre dann wirklich political correctness in dem Sinn, dass man einen Sprachgebrauch pflegt, der nicht angeeignet, sondern aufgezwungen ist.
Was Villa da macht, würde ich einen erkenntniszersetzenden Relativismus nennen, wenn man die Konsequenzen zieht. Das würde auch heißen, weil es Menschen gibt, die keine Beine haben, wäre die Aussage nicht mehr gerechtfertigt, dass Menschen Beine haben. Das ist natürlich Unsinn, einen Allgemeinbegriff zu verwerfen, weil er nicht jeder Besonderheit jedes Einzelfalls gerecht wird, denn das haben Allgemeinbegriffe so an sich. Das scheint mir mit deren genereller Abneigung gegen „Normenscheiße“ verbunden zu sein, die ich für hochgefährlich und -schädlich halte, weil sie damit alles zerhacken, was uns verbindet und Kommunikation ermöglicht. Das sieht man ja ganz konkret an deren Sprache und an der ernsthaft erhobenen Forderung, jeder soll sich seine eigenen Fürwörter ausdenken können, mit denen er bezeichnet werden will. Wenn jede Orientierung an einer Norm ein böser -ism ist, führt das wirklich ins gesellschaftliche Nirvana, weil es auf die Zerstörung gemeinsamer Orientierungen überhaupt hinausläuft. Was dem Einzelnen dann noch bleibt, ist Narzissmus.
crumar sagte:
@achdomina
Ich betreibe mal Rosinenpicken aus deinem Beitrag zu unserer Zerfleischung (iiiiiiiiiihhh!).
Du schreibst:
„Was Villa da macht, würde ich einen erkenntniszersetzenden Relativismus nennen, wenn man die Konsequenzen zieht. Das würde auch heißen, weil es Menschen gibt, die keine Beine haben, wäre die Aussage nicht mehr gerechtfertigt, dass Menschen Beine haben. Das ist natürlich Unsinn, einen Allgemeinbegriff zu verwerfen, weil er nicht jeder Besonderheit jedes Einzelfalls gerecht wird, denn das haben Allgemeinbegriffe so an sich.“
Genau das meine ich auch.
Sehr verkürzt: Aus der Perspektive der Ausnahmen heraus wird die Allgemeingültigkeit und Bestimmtheit eines Begriffs bestritten. Dann wird bestritten, dass aus – da sie keine Allgemeingültigkeit haben – Begriffen überhaupt noch Kategorien gebildet werden können. Womit m.E. Abstraktion fast anrüchig wird.
Die „postmoderne Intention“ ohne *vorgefasste* Begriffe und Kategorien an eine Sache heranzugehen wäre an sich ehrenwert
Wenn nicht alle feministischen Texte so klingen würden, als hätten die Produzentinnen der Texte die zugrunde liegenden Texte mit Foucault und Butler gelesen.
Was ein Widerspruch in sich ist und für mich der Beweis, es ist nicht möglich.
Connell zeigt ein weiteres grundlegendes Problem dieser „Schule“ auf; in „Der gemachte Mann“ von 1999 zitiert er zustimmend Kemper: „Wenn rassistische und sexistische Ideologien hierarchische soziale Arrangements aufgrund von Biologie rechtfertigen, dann muß die Biologie falsch sein.“
Wenn…dann in diesem Kontext zu verwenden ist bereits falsch, denn das Problem der Ethik in der Wissenschaft hat mit dem Gegenstand einer Wissenschaft nichts zu tun..
Auch wenn Biologie falsche Rechtfertigungen für Sexismus lieferte, dann rechtfertigt das nicht, die Wissenschaft für „falsch“ zu erklären.
Die unterstellte Kausalität existiert also nur in seiner Vorstellung.
Und in dieser Vorstellung ersetzt ein moralisches Urteil tatsächlich ein wissenschaftliches Argument. Wenn diese Vorstellung aber nur eine von vielen Vorstellungen ist und ebenfalls ihre Berechtigung hat…
Du schließt deinen Beitrag:
„Wenn jede Orientierung an einer Norm ein böser -ism ist, führt das wirklich ins gesellschaftliche Nirvana, weil es auf die Zerstörung gemeinsamer Orientierungen überhaupt hinausläuft. Was dem Einzelnen dann noch bleibt, ist Narzissmus.“
Das sehe ich auch so.
Schönen Gruß, crumar
Seitenblick sagte:
Hallo Crumar.
Ok, ich ziehe die Vermutung einer Abbildtheorie hiermit zurück ;-).
„We agree to disagree an dem Punkt. 😉 “
Ich denke, das liegt daran, dass wir solche Sätze wie „Unser Geist ist real“ verschieden interpretieren. Ich habe da eine harmlosere Lesart. Der ontologische Status eines Gedankens ist nicht der eines Steines, das ist doch klar. Ich meine, Popper hat deshalb mal mit Welt 1, Welt 2 etc hantiert, um diese Differenzen zu markieren.
Mit ging es mit meinem Hinweis auf die zwei vermischten Fragen auch mehr darum, dass es für Analyse und Kritik der Pseudo-Genderwissenschaft ausreicht – und damit effektiver ist! -, sich auf den Punkt zu konzentrieren, über den Einigkeit besteht:
„Damit meine ich “Vernunft” als Vernunft anzuerkennen; bedarf der intersubjektiven Verständigung und dann den WILLEN; sich den Regeln der Vernunft zu unterwerfen.“
Eben. Für jede universitäre Veranstaltung, für jedes Fach, das als wissenschaftliches Fach auftritt, sind damit Anforderungen definiert. Genügt eine (Teil-)Disziplin denen nicht, muss darüber geredet werden, ob sie nicht woanders stattfinden muss. Frauenselbsthilfegruppe in einer Jugendherberge am Fuß des Brockens – meinetwegen, warum nicht.
@achdomina
Ich glaube, „Was Seitenblick übrigens über Kant sagt, hab ich schon vor Kant gesagt!!!!1“
Ich wüsste ja, dass auch die Älteren das Internet entdeckt haben. Aber, selbst die Generation vor Kant – hui ;-).
OT: Ich finde es sehr gut, dass sich hier auch ein paar Vollsoziologen zu Wort melden. Ich bin da zu lange raus, ich habe keine Ahnung mehr, wie die Wahrnehmung der Genderthematik in der Gesamtdisziplin erfolgt. Freue mich deshalb über einige „updates“, die ich hier kriege.
crumar sagte:
@Seitenblick
Ich danke dir für die Rückziehung deiner Abbild-Vermutung (dieser Satz musste geschrieben werden)!
Die ist die Stalinsche Verhunzung eines Satzes aus dem Vorwort eines Buches und das Buch mochte ich sehr.
Obwohl ich mit Verhunzungen also reichlich Erfahrung habe verstehe ich noch immer nicht, wie aus Frauenforschung „gender studies“ hat werden können.
Meine Uni-Zeit liegt lange zurück, aber so einen irrationalen, unvernünftigen Quark hat es meines Wissens und Erinnerung nach nicht gegeben,
Oder falsch wahrgenommen? Rätselhaft.
Was hat sich an den Universitäten geändert, dass sich dieser Fachbereich mitsamt Pseudo-Wissenschaft überhaupt etablieren konnte?
Ist das die institutionelle Macht via Gleichstellungsbeauftrage etc. und feministische Netzwerke? Oder ist es inzwischen völlig egal (aka Vernunfttotalschaden)?
Du schreibst: „Eben. Für jede universitäre Veranstaltung, für jedes Fach, das als wissenschaftliches Fach auftritt, sind damit Anforderungen definiert. Genügt eine (Teil-)Disziplin denen nicht, muss darüber geredet werden, ob sie nicht woanders stattfinden muss.“
Die Machtfrage hat sich m.E. bereits gestellt, als die gender studies etabliert worden sind. Und ist damit entschieden. „Loswerden“ wird also eher keine realistische Option sein.
Dass es „für Analyse und Kritik der Pseudo-Genderwissenschaft ausreicht – und damit effektiver ist! -, sich auf den Punkt zu konzentrieren, über den Einigkeit besteht“ ist politisch richtig und sinnvoll. Einverstanden.
Abgesehen von meiner Krätze.
Schönen Gruß, crumar
PS: „Ich meine, Popper hat deshalb mal mit Welt 1, Welt 2 etc hantiert, um diese Differenzen zu markieren.“ Wenn man *ein* Problem nicht lösen kann, ist es natürlich immer hilfreich, aus diesem eine Mehrzahl zu bilden. Problem-Pluralismus, sozusagen. 😉
man.in.th.middle sagte:
So ganz verstehe ich ehrlich gesagt nicht, wohin die Diskussion zielt.
1. Daß man als Mensch nur einen Teil der Realität wahrnehmen kann, ergibt sich schon aus den Sinnesorganen und der mentalen Verarbeitung der Signale im Gehirn. Wir können nur Licht in einen bestimmten Frequenzbereich sehen, Töne in einem bestimmten Frequenzbereich hören, nur bestimmte Moleküle riechen usw. usw. Daß wir nur einen Teil der Realität wahrnehmen (Farbenblinde subjektiv sogar weniger), ist also eine Binsenweisheit und sagt nichts über die Realität aus. Dies gilt erst recht für viele soziale Beobachtungen, die wir nur über Berichte anderer indirekt wahrnehmen.
2. Naturwissenschaften entwickeln Modelle für die Realität, die Prognosen erlauben müssen und beim Nichteintreten der Prognose falsifiziert sind. Der Poppersche Falsifikationismus ist (in diversen Varianten) Konsens in den Naturwissenschaften. In den Sozialwissenschaften ist er i.a. nicht verwendbar, weil ich – um es provokant zu formulieren – prinzipiell keine kontrollierten Experimente durchführen kann, sobald Menschen involviert sind. Selbst bei kleineren Experimenten hat man nicht wirklich alle Einflüsse unter Kontrolle (lesenswert in diesem Kontext: Jonah Lehrer: The Truth Wears Off, http://www.newyorker.com/reporting/2010/12/13/101213fa_fact_lehrer?printable=true¤tPage=all). Erst recht nicht ist das er Fall bei den interessanten „großen“ Prozessen, die Jahrzehnte dauern betreffen, z.B. die Entwicklung von männlichen vs. weiblichen Charaktereigenschaften oder erst recht bei der menschlichen Evolution.
„Was ist jetzt hieran das spezifisch Naturwissenschaftliche, das der Theorie einen höheren Geltungsanspruch oder eine größere Gewissheit verleiht?“
Die Möglichkeit, kontrollierte Experimente beliebig oft durchzuführen, wo ich alle externen Einflüsse ausschließen kann, und die Vertrauenswürdigkeit meiner Modelle (oder Wahrscheinlichkeit, daß die Prognose zutreffen wird) beliebig nahe an 1 heranzubringen.
Diese Möglichkeit ist übrigens keineswegs bei allen naturwissenschaftlichen Modellen praktisch realisierbar (z.B. genetisch manipulierte Pflanzen, Atomkraft). Dies deckt einen Denkfehler auf: entscheidend ist nicht das Naturwissenschaftliche, sondern die Reproduzierbarkeit und die hohe Prognosesicherheit.
„Ich würde sagen, eine Gesellschaftstheorie kommt auf genau dieselbe Art zustande, und ist/wäre genau auf dieselbe Art zu Fall zu bringen. Indem man etwas findet, das es ihr zufolge nicht geben dürfte“
Wie eine Theorie durch Hypothesenbildung zustande kommt (falls das gemeint war), sei dahingestellt, das ist egal.
Gesellschaftstheorien – soweit ich sie kenne -, beschreiben keinen exakten Versuchsaufbau und machen keine exakten, objektiv meßbaren Prognosen für den Ausgang des Versuchs. Alles bleibt im Vergleich zu der Präzision von Prognosen, die man von den Naturwissenschaften verlangt, äußerst vage. Deshalb kann man sie nach meinem Eindruck durch einen gescheiterten Test prinzipiell nicht widerlegen. Ein gescheiterter Test reduziert nur den Grad der Sicherheit, daß die Prognose eintreffen wird.
Trotzdem können Modelle von sozialen Prozessen natürlich nützlich und plausibel sein. Da man keine kontrollierte Experimente durchführen kann, führt man zumindest „ähnliche“ Vorgänge wiederholt durch und ist zufrieden mit 70% Eintretenshäufigkeit der Prognose. Solange man nichts besseres hat, muß man so oder so mit diesen Schwächen leben, man braucht nämlich ständig Prognosen. Immer da, wo man bei geplanten sozialen Handlungen Alternativen abwägt, macht man Prognosen über die Auswirkungen dieser Handlungen. Noch schlechter wäre es, von „intuitiven“, überhaupt nicht validierten Modellen auszugehen und darauf basierende Prognosen einzusetzen.
3. Wegen der fehlenden Testbarkeit und der vergleichsweise geringen Prognosesicherheit muß man Gesellschaftstheorien mit großer Vorsicht benutzen.
Reihenweise Beispiele für eine fahrlässige Benutzung liefern der Feminismus bzw. die feministischen Theorien. Ein Beispiel: Männer und Frauen haben einer unbewiesenen Theorie zufolge gleiche Interessen und Ambitionen, würden also „normalerweise“ gleich oft zum DAX-Vorstand aufsteigen. Weil das nicht so ist, gilt als bewiesen, daß es seine gläserne Decke gibt. Aus deren Existenz folgt, daß man die Grundrechte von Männern einschränken darf. Aus einer unbewiesenen (und m.E. falschen) Theorie werden gravierende Grundrechtsverletzungen abgeleitet.
Soziale Handlungen, die gravierende negative Auswirkungen auf Menschen (oder die Demokratie) haben können, sind fahrlässig bzw. unmoralisch, wenn sie mit unsicheren Prognosen begründet werden,
Wegen der prinzipiellen Unsicherheit sozialer Modelle wird die Risikoabschätzung, also die Abschätzung des Umfangs möglicher Kollateralschäden und unerwarteter Ergebnisse, zu einem erstrangigen Thema bei der Verwendung der Modelle. Im Gegensatz dazu braucht man keine Risikoabschätzung, wenn man den Geschirrspüler einschaltet, eine bekannte chemische Reaktion auslöst oder wenn der Bauer seinen Acker bewirtschaftet.
Weil andere betroffen sein können, entsteht außerdem die Frage, wer alles an der Risikoabschätzung beteiligt wird.
M.a.W. Worten sind soziale Modelle (bzw. Gesellschaftstheorien) nicht nur unsicherer, sondern ihre Verwendung muß anders geregelt werden als bei naturwissenschaftlichen Modellen der Realität.
4. Zurück zu der Ausgangsfrage, ob es eine Realität an sich gibt und wie gefiltert ich sie wahrnehme, also wie verschieden die objektive und subjektive Realität sind: Die Filterung durch unsere Sinnesorgane ist harmlos im Vergleich zur Filterung durch selektive Wahrnehmung, unterbewußte Assoziationen und Wertungen und bei komplizierteren Sachverhalten, speziell sozialen Vorgängen, durch die Art der Modellbildung. Nicht umsonst sagt man, wenn man ein Hammer ist, besteht die Welt aus Nägeln.
Deswegen würde ich auch der These „Wissen ist Produkt unserer Wahrnehmung“ in dieser absoluten Form nicht zustimmen. Was ist Wissen? Wissen kann (a) einfache wahrnehmbare Phänomene betreffen („es schneit gerade“) oder (b) komplexe Sachverhalte, die ich meist nur indirekt über Berichte anderer und in abstrahierter Form, also als Modell „weiß“. Im Fall (b) entstehen wesentliche Verzerrungen durch der Abstrahierung und Modellbildung, nicht bei der Erstwahrnehmung der kompletten Realität. Deswegen kann man m.E. die beiden Fälle auch nicht über einen Kamm scheren.
Politisch gedacht ziehe ich aus alldem das Resümee, daß 1. soziale Theorien und Modelle („das Patriarchat“) an ihrer Prognosesicherheit gemessen werden müssen, daß 2. die offensichtliche Unsicherheit und Widersprüchlichkeit feministischer sozialer Theorien nicht oft genug angeprangert werden kann, daß 3. aus diesen Theorien und Modellen gezogene Konsequenzen (Aufhebung von Grundrechten für Männer, Schlechterstellung von Jungen an Schulen, …) unvertretbar sind. Der Vollständigkeit halber: das gilt selbstredend analog für den Maskulismus, nur scheint der keine etablierte Theorie und politische Macht zu haben.
crumar sagte:
Eigentlich wollte ich erst den zweiten Teil schreiben, aber du gibst mir die Gelegenheit, um zu verdeutlichen, was ich mit dem Unterschied von Natur- und Sozialwissenschaften meine.
Gesetze der Physik haben immer gegolten, egal ob die Menschen sie als solche wahrgenommen oder verstanden haben. D.h. auch im Mittelalter waren physikalische Phänomene naturwissenschaftlich erklärbar. Es gab jedoch Erkenntnisschranken, die sozialer Natur waren und beispielsweise dazu führten, in bestimmte Erscheinungen göttliches oder diabolisches Wirken „hineinzulesen“.
Dieses – sagen wir mal – „Kausalitätsbedürfnis“ füllte mit religiösen „Erklärungen“ objektive Wissenslücken.
Ein Sozialwissenschaft zur damaligen Zeit hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen können, dass das Wirken bestimmter physikalischer Phänomene zu regelmäßigen Hexenverbrennungen geführt hat (ich weiß, ist makaber).
Dass Hexenverbrennungen heute nicht mehr stattfinden falsifiziert aber nicht die Theorie, die erklärt, warum sie stattgefunden haben.
Damit möchte ich sagen, dass gesellschaftliche Entwicklung den Gegenstand „Gesellschaft“ entwickelt.
Also physikalische und soziale, politische, moralische etc. Gesetze eben verschiedene Dinge sind, die sich nur den Begriff teilen.
Und ich mich frage, ob es überhaupt sinnvoll und angemessen ist, Kriterien für die Güte einer sozialwissenschaftlichen Theorie 1:1 aus den Naturwissenschaften zu übernehmen.
Schönen Gruß, crumar
man.in.th.middle sagte:
„ich mich frage, ob es überhaupt sinnvoll und angemessen ist, Kriterien für die Güte einer sozialwissenschaftlichen Theorie 1:1 aus den Naturwissenschaften zu übernehmen“
Du meinst das Gütekriterium Prognosezuverlässigkeit?
Daß man es nicht 1:1 von den naturwissenschaftlichen Theorien (dort auch nur bei den einfachen Fällen) auf die sozialwissenschaftlichen Theorien übertragen kann, ist Konsens.
Frage also: Welche Gütekriterien gibt es denn stattdessen für sozialwissenschaftliche Theorien?
Von mir aus gerne eingeschränkt auf solche, die relevant für die Geschlechterdebatte sind, wenn diese Eingrenzung die Antwort leichter macht.
Immer mit dem Hintergedanken, daß ich nur Theorien mit sehr hoher Güte benutzen darf, wenn ich z.B. Entscheidungen treffe, die wichtige Auswirkungen auf Menschen haben.
Eigentlich keine neue Frage. Gibt es dazu empfehlenswerte kompakte Abhandlungen?
crumar sagte:
@man in the middle
Nein, ich meine das Kriterium der Falsifizierbarkeit auf der Basis eines m.E. eben nicht übertragbaren Gesetzesbegriffs.
Seitenblick hat oben richtig gefordert, welchen Ansprüchen eine Genderwissenschaft zu genügen hätte:
„Kriterien wie Widerspruchsfreiheit, Ableitung ihrer Aussagen aus auch für Außenstehende nachvollziehbaren Datas, Folgerichtigkeit anstelle von Beliebigkeit, fehlende Immunisierung gegen Falsifizierbarkeit, präzise Angaben zu ihrem Gegenstandsbereich und Nachweis, inwiefern ihre Methoden für diesen adäquat sind, überhaupt intersubjektive und damit rationale Nachvollziehbarkeit.“
Das reicht doch schon.
Gruß, crumar
derdiebuchstabenzaehlt sagte:
Was ich nicht verstehe ist, wie kann einem Soziologen bis zum om13 die Verlogenheit der Gendersens verborgen geblieben sein? Die führen doch wirklich kein Schattendasein an den Unis.
Zum Vergleich Soziologie und Mathe. Wenn eine grosse mit fast unendlicher „Forschungsförderung“ ausgestattete Matheabteilung behaupten würde 4+4=5 und sich kein nennenswerter Widerspruch innerhalb des Fachs Mathe regt, ja dieser Unfug den Fachkollegen nichtmal auffällt, was soll man dann wohl von Mathe allgemein halten?
achdomina sagte:
Berechtigte Frage. Ich würde sagen, zum einen ist das eben nicht so im Detail bekannt, dass die 2+2=5 behaupten. Sich mit dem Geschlechterverhältnis und kulturell bedingten Geschlechterrollen zu befassen ist an sich legitim. HD scheibt in seiner Klageschrift auch, dass es da „Giftschränke“ in dem Sinn gibt, dass die nach außen etwas anderes behaupten als unter sich und so ihre Angriffsfläche verkleinern. Ich habe das im Studium so erlebt und von anderen (v.a. Frauen) gehört, dass man mitkriegt, dass es da diese Gender-Gruppen und Seminare gibt, und wenn man sich dafür interessiert, schnell mitkriegt, dass die sich abriegeln, gegen Männer und überhaupt gegen Leute, die sich darauf nicht so ganz einlassen. Dann hat man halt den Eindruck, dass es da ein paar Frauen gibt, die Seminare veranstalten, in denen sie unter sich über Frauenprobleme reden. Das klingt merkwürdig, aber noch nicht unbedingt gefährlich oder falsch.
Außerdem müsste man sich ja einarbeiten, also mehr oder weniger spezialisieren, um es kritisieren zu können. Das wird durch die Abriegelung erschwert, und man spezialisiert sich außerdem lieber auf die eigenen Interessen. Außerdem kann man sich das Shitstorm-Potential ausrechnen, das droht, wenn man die angreift. Man würde sich ganz allein gegen ganze Horden stehen, die außerdem den Mainstream hinter sich haben (Fraueninteressen, toll!).
Das soll nur ein Erklärungsversuch sein, keine Rechtfertigung. Ich stimme zu, dass es ein Systemversagen ist. Deswegen reite ich so auf rationalen Wahrheitskriterien, Wissenschaftstheorie und so weiter rum. Um gegen Beliebigkeit vorgehen zu können, müssen wir klar kriegen, wie diese Dinge in Wissenschaften funktionieren, in denen man nicht einfach mit dem Taschenrechner checken kann, ob etwas richtig oder falsch ist.
LoMi sagte:
„Um gegen Beliebigkeit vorgehen zu können, müssen wir klar kriegen, wie diese Dinge in Wissenschaften funktionieren, in denen man nicht einfach mit dem Taschenrechner checken kann, ob etwas richtig oder falsch ist.“
Dazu gibt es den Diskurs. Und mit Feyerabend gesprochen: die Theorienvielfalt. Die Ergebnisse einer Forschung werden im Kreis der Fachvertreter diskutiert. Dabei werden die Argumente geprüft. Über die Theorienvielfalt kann Zweifel geweckt werden an der behaupteten Allgemeingültigkeit eines Ansatzes. Der Theorievergleich sensibilisiert für Vorannahmen des diskutierten Forschungsergebnisses. Begriffstrategien werden so erkennbar.
Im Grunde ist es in Sachen Gender leicht. Die Disziplin als Bündel von Ansätzen und Methoden hat hier nicht versagt: Sie böte genügend Gegenargumente und Mittel der Kritik. Versagt haben wir, weil wir diese Kritik nicht unternommen haben.
man.in.th.middle sagte:
@LoMi 27. November 2013 um 13:52 „Die Disziplin als Bündel von Ansätzen und Methoden hat hier nicht versagt: Sie böte genügend Gegenargumente und Mittel der Kritik. Versagt haben wir, weil wir diese Kritik nicht unternommen haben.“
Wer ist „wir“? Die Disziplin im Sinne von „wir“ = die etablierten Forschungsinstitute hat offenbar durchaus versagt und wird, dem Gesetz der trägen Massen ( 😉 ) folgend wohl auch in Zukunft versagen. Handlungsoptionen:
1. selber besser machen: schwierig, man hat nicht die Zeit, könnte aber zumindest punktuell etwas hinbekommen.
2. auf die etablierte Szene einwirken, sich zu bessern, indem man die Defiziten möglichst publik macht, zumindest dort, wo man ein Minimum an Chancen sieht.
LoMi sagte:
@man in the middle:
„Wir“ sind die Personen, die Soziologie betreiben. Die Disziplin, das ist der Wissenskanon. Der funktioniert. Aber er muss auch angewandt werden. Das geschieht nicht. Die Personen nutzen die Mittel der Soziologie nicht, um Gender in der notwendigen Weise zu kritisieren.
man.in.th.middle sagte:
@LoMi 28. November 2013 um 08:23 „Aber er muss auch angewandt werden. Das geschieht nicht.“
OK, Konsens. Auf die Gefahr, penetrant zu erscheinen: warum nicht? Was kann man tun? Ich hatte oben 2 Handlungsoptionen genannt, vor allem die 2. erscheint mir unverzichtbar.
Wenn man nichts tut, ändern sich die Verhältnisse nicht.
Außerdem müssen wir glaube ich genauer über den Unterschied zwischen Soziologie als Wissenschaft und praktischer Politik nachdenken.
LoMi sagte:
„Was ich nicht verstehe ist, wie kann einem Soziologen bis zum om13 die Verlogenheit der Gendersens verborgen geblieben sein? Die führen doch wirklich kein Schattendasein an den Unis.“
Aus meiner Sicht: Sie sind sichtbar, deutlich und überall. Das gilt für politisch-administrative Regelungen wie Gender Mainstreaming. Sie sind sichtbar in Gestalt von Gleichstellungsbeauftragten. Und natürlich sind sie im Fach sichtbar. In vielen Sammelbänden tauchen einzelne Aufsätze auf, die das Sammelbandthema aus Genderperspektive bearbeiten – gewissermaßen als Quotentext. Das gilt nach meinem Eindruck auch für Konferenzen.
Es ist in der Tat so, dass sich die Disziplin wehren müsste gegen diese Einseitigkeit. Das kommt auch durchaus vor. Es gibt soziologische Kritiker der Gender-Ausrichtung. Aber insgesamt ist sicher die Shitstorm-Gefahr ein Grund dafür, dass die Kritik nicht allzu laut ist.
achdomina sagte:
Allerdings kann man unter „Gender Mainstreaming“ auch einfach das Ziel verstehen, dass es keine Geschlechterdiskriminierung geben soll, und das steht ja schon im Grundgesetz und wäre kein Grund sich aufzuregen. Das ist überhaupt ein Problem mit „Gleichheit“ als gesellschaftliches Ideal. Damit können völlig verschiedene Dinge gemeint sein, weil Menschen in mancher Hinsicht alle gleich und in anderer alle ungleich sind.
man.in.th.middle sagte:
„Das kommt auch durchaus vor. Es gibt soziologische Kritiker der Gender-Ausrichtung“
Wer konkret?
bzw. welche Publikationen?
Es sollte sich natürlich um Leute mit guter Reputation handeln.
derdiebuchstabenzaehlt sagte:
@ achdomina
„Allerdings kann man unter “Gender Mainstreaming” auch einfach das Ziel verstehen, dass es keine Geschlechterdiskriminierung geben soll, und das steht ja schon im Grundgesetz und wäre kein Grund sich aufzuregen.“
Mich wundert, daß niemand sich, bei der Wehrpflicht, bei Räumen nur für Frauen, bei Frauenbeauftragten (später Gleichstellungsbeauftragten) und sonstigen offensichtlichen „Gerechtigkeiten“, Fragen stellt! Gerade sowas könnte (und sollte?) doch die Neugier gerade auch von Soziologen wecken.
Hier versagen die Soziologen, und ich habe den Eindruck hier WOLLEN sie versagen. Gender sollte nicht Teil der Soz. sein, sondern Forschungsgegenstand der Soziologie. Eigentlich wäre eine solche Forschung dringend, dringender als zB die Forschung über Glück!!
LoMi sagte:
@ man in the middle:
http://sowiport.gesis.org/search/id/iz-solis-90398021
oder
http://userpages.uni-koblenz.de/~vladimir/breviary/paris.html
man.in.th.middle sagte:
@LoMi 28. November 2013 um 08:28:
danke für die Hinweise. Der Text von Rainer Paris ist wirklich gelungen (inbs. wenn man das Jahr 2003 berücksichtigt). Mir ist trotzdem nicht klar, was man mit so einem Text praktisch erreicht. Was ändert sich deswegen in der Realität? In den 10 Jahren, seitdem der Text erschienen ist, scheint alles eher schlimmer geworden zu sein.
Der Text ist außerdem nicht empirisch unterfüttert. Die dort beschriebenen Effekte sind durchaus vorhanden, aber es bleibt offen, wie häufig und wie relevant das Problem ist.
Der Text von Pohmann sieht interessant aus, ist aber leider nicht im Netz zu finden.
2 Texte wären schon mal ein Anfang, aber das müßte natürlich mehr werden.
Vor allem mit reiner Kritik ist es nicht getan. Dazu schreibe ich unten einen separaten Kommentar.
LoMi sagte:
@ man in the middle
„Der Text von Rainer Paris ist wirklich gelungen“
von ihm gibt es noch mehr und zwar auch theoretisch stärkere Aufsätze, z.B.
„Gleichheit“
Klar diese wenigen Beispiele, die ICH gerade mal kenne, reichen sicher nicht. Aber ich vermute, es gibt noch mehr davon. Vielleicht kann man sich bei Michael Klein etwas weiterinformieren auf sciencefiles.org. Ich persönlich halte ihn für etwas krawallig, nichtsdestotrotz argumentiert er mitunter gut und er zitiert auch soziologische Autoren. Ein Beispiel ist die Präferenztheorie von Catherine Hakim als Einwand gegen den gender pay gap. Auf sciencefiles.org findet sich von Heike Diefenbach eine ausführliche Kritik am Begriff des „Patriarchats“. usw.
man.in.th.middle sagte:
„etwas krawallig“
Das ist dezent ausgedrückt. In den Artikeln auf sciencefiles finden sich derart viele verbale Entgleisungen und unmotiviert mitten im Text immer wieder unsachliche Beschimpfungen von Meinungsgegnern, daß man diese Texte keinem unvoreingenommenen Normalverbraucher zeigen sollte. Der Schaden ist größer als der Nutzen.
Hinzu kommen immer wieder Argumentationsfehler, oft in Form maßloser Übertreibungen (spontan fällt mir das Thema Kinderbetreuung an Unis ein, wo so getan wird, als würden Unis zu Kindergärten umfunktioniert). Wenn 10% der Argumentationen hanebüchener Unsinn sind (unter einer Schicht Krawall verdeckt, aber trotzdem auffindbar), dann habe ich auch keine Lust, dauernd nach diesen 10% zu suchen – sofern ich sie überhaupt finde.
Die beiden genannten Mängel (die bei Danisch so ähnlich zu beobachten sind) bieten den Meinungsgegnern so viel Angriffsfläche, daß man zumindest bei den derzeitigen politischen Verhältnissen damit nichts erreicht. Sofern das ganze Alice Schwarzer imitieren soll, weil die damals auch durch Krawalligkeit und falsche und überzogene Aussagen Erfolg hatte: A.S. ist ein historisches Phänomen, das seine Zeit hinter sich hat. Ihre Tricks kann man heute nicht wiederholen.
Die Männerbewegung muß heute neue, eigene Antworten finden, mit welchen sachlichen Argumenten und welchem Kommunikationsstil sie politische Erfolge erzielen kann und will.
achdomina sagte:
Das finde ich bei Sciencefiles auch schade. Ein polemisches Blog ist ja nichts Schlimmes und das Blogformat ist gut geeignet dafür. Aber wenn man dann gleichzeitig so tut, als spräche man für die Wissenschaft, ist das nicht Fleisch und nicht Fisch.
LoMi sagte:
@ man in the middle
“ In den Artikeln auf sciencefiles finden sich derart viele verbale Entgleisungen und unmotiviert mitten im Text immer wieder unsachliche Beschimpfungen von Meinungsgegnern, daß man diese Texte keinem unvoreingenommenen Normalverbraucher zeigen sollte.“
Volle Zustimmung. Ich lese da auch nicht mehr gern, auch weil da ab und an verstiegene Thesen geäußert werden.
Aber der Text über den Begriff des Patriarchats sowie der Aufsatz „Bringing Boys back in“ sind beide seriös.
Aber das war nur als Beispiel gedacht. Es ist allerdings so, dass ich persönlich richtig suchen müsste, um relevante genderkritische Texte zu finden.
Ich erinnere mich zumindest an einen Text in diesem Sammelband:
Lamnek, Siegfried/Boatca, Manuela (Hg.) (2003): Geschlecht – Gewalt –
Gesellschaft, Opladen: Leske + Budrich.
Dieser Text zeigte auf, dass Jungen oder Männer vielfach härter strafverfolgt werden als Mädchen oder Frauen. Ansonsten entspricht das Buch so den Erwartungen, die der Titel weckt: Gewalt ist angeblich Männersache.
Wahrscheinlich könnte man schon noch mehr Beispiele finden. Im Moment kenne ich kaum welche, die auch auf der Theorieebene die Grundlagen von Gender kritisieren. Eben Rainer Paris tut das, z.B. hier: http://www.eurozine.com/articles/2009-08-11-paris-de.html
Ich denke, die offene Auseinandersetzung wagen viele einfach nicht.
LoMi sagte:
@achdomina
“ Aber wenn man dann gleichzeitig so tut, als spräche man für die Wissenschaft, ist das nicht Fleisch und nicht Fisch.“
Was mich da ärgert:
– er kommentiert bei Danisch, aber interveniert nicht, wenn Danisch pauschal alle Soziologie zu Unsinn erklärt
– er macht blöde Nazivergleiche, indem er gewissen linken Aktivisten Nazimethoden vorwirft. Bei aller Kritik an jenen Aktivisten finde ich doch, dass solche Vergleiche vordergründig der Diskreditierung dienen
– er verabsolutiert seine politischen Haltungen mitunter zu scheinbar wissenschaftlichen Wahrheiten: Etwa, wenn er die Eltern- oder Kinderförderung angreift und das als Trittbrettfahrerei im Sinne des Nutzenmaximierers kritisiert. Dabei vergisst er gerne, dass ein Kind ein eigenständiges menschliches Wesen mit Rechten ist und dass die Eltern deshalb auch andere Verpflichtungen tragen als NIcht-Eltern. Für ihn ist das lediglich ein individueller Lebensentwurf, womit er die Eigensinnigkeit des Gesellschaftsmitgliedes Kind ignoriert.
man.in.th.middle sagte:
@ LoMi 29. November 2013 um 08:35 „von ihm gibt es noch mehr und zwar auch theoretisch stärkere Aufsätze, z.B. “Gleichheit” “
Wow! der Text ist das beste, was ich seit langem gelesen habe. Der Text ist auch didaktisch sehr gelungen.
Die Unterscheidung zwischen binären und graduellen Ungleichheiten und deren bewußte Vermischung ist tatsächlich ein Schlüssel, um vieles besser zu verstehen. Die Willkürlichkeit der Festlegung, wann Diskriminierungen auftreten, und die unkontrollierte Macht der entsprechenden „Hohepriester“ ist mir schon selber aufgefallen (beim Thema Gender Mainstreaming).
Der Text von Paris addressiert offensichtlich in erster Linie den Gemütszustand von einzelnen Menschen und die Auswirkungen auf das Sozialverhalten. Es wäre interessant, die Gleichheit von Individuen mit der Gleichheit von Kollektiven, die grundlegend für die aktuellen Quotendebatten sind, zu vergleichen.
„gibt es noch mehr .., z.B.“
Immer her damit. Vor allem Texte wie dieser von ca. 10 Seiten, die relevante Themen behandeln, die didaktisch gut gemacht sind und die man in unter einer Stunde lesen kann. Bei ganzen Büchern habe ich immer Zweifel, ob man damit viele Leute erreicht.
achdomina sagte:
Danke auch allen für die ausführlichen Kommentare. Ich sehe hier eigentlich keine fundamentalen Differenzen. Nur eins möchte ich noch mal zusammenfassen bzw. vorschlagen.
Wenn wir Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften gegenüberstellen, dann liest man oft heraus, dass für das, was wir mit Naturwissenschaften meinen, die Mechanik das Modell ist. Aber ich glaube, es kommt der Sache näher, zu fragen, ob wir es mit komplexen Systemen zu tun haben oder nicht. Wenn der Gegenstand der Naturwissenschaften die Natur minus Menschen/Gesellschaften ist, dann verweise ich darauf, dass man auch die Entwicklung eines Organismus oder sein Verhalten unter bestimmten Bedingungen nicht exakt vorhersagen kann. Gleiches gilt z.B. für Ökosysteme. Da gibt es nicht die Exaktheit oder saubere Kausalität der Mechanik. Man erreicht exakte (Kausal-)Aussagen dann auf anderem Weg, nämlich statistisch, indem man sagt, im Durchschnittsfall wird sich so ein Organismus so und so entwickeln, oder in 70 von 100 Fällen wird er das und das tun. Genau solche Aussagen können auch mit aus Experimenten gewonnenen Modellen der Sozialpsychologie gemacht werden, wenn diese Experimente oft genug durchgeführt wurden.
Wenn man es sich so vorstellt, dass alle Naturwissenschaft wie Mechanik funktioniert, traut man den Naturwissenschaften gleichzeitig zu viel und zu wenig zu.
crumar sagte:
@achdomina
Wenn man den ganzen Tag über an einem Bauteil oder einer Bauteilgruppe sitzt…prompt fällt mir als erstes Mechanik ein.
Betriebsblind, sag ich ja.
In meiner Realität ist die Spezialisierung so ausgeprägt, dass ich noch nicht mal beruflichen Kontakt habe zu Leuten, die mit einem anderen Material arbeiten.
Ist das bei euch auch so?
Ich habe also keinen Überblick über die Naturwissenschaft und lese nur eingeschränkt über fachliche Neuerungen in einem wiiiiinzigen Ausschnitt.
Übrigens wird in unserem Bereich, im Automobilbau, in Luft- und Raumfahrt, in der Elektronik viel mit Wahrscheinlichkeiten gerechnet.
Stichworte Lebensdauer und Zuverlässigkeit
Auch ein Airbus ist ein komplexes System.
Schönen Gruß, crumar.
achdomina sagte:
Hm? Also falls das so klang, ich halte eine Orientierung an der Physik im Sinn klassischer Mechanik nicht für eine persönliche Verfehlung von irgendwem, sondern für einen Ausdruck der Rolle der Physik als Leitwissenschaft. Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass sie diese Rolle hat, das will ich jetzt nicht ausführen … aber es äußert sich z.B. in der allgemeinen Orientierung am Billardkugel-Kausalitätsbegriff und an dem Ärger, den er Philosophen einbrockt, die die Willensfreiheit retten wollen.
LoMi sagte:
„Ist das bei euch auch so?“
Ja. Das ist so. Auch ein Grund, warum ein Großteil Sozialwissenschaftler von Gender wenig mitbekommt. Gender ist fachintern einfach nur ein Forschungsfeld von sehr, sehr vielen. In vielen Blogs wird der Eindruck erweckt, Gender sei DER Forschungsgegenstand der Soziologie. Stimmt aber nicht.
crumar sagte:
@achdomina
Also ich habe gerade mal nach „Freier Wille“ gegoogelt und es scheint mir nicht, dass die Probleme der Willensfreiheit von dem „Billiardkugel-Kausalitätsbegriff“ herrühren (whatever that is…).
Das haben euch doch wohl die *Neurowissenschaftler* eingebrockt und nicht die Physiker.
Lustig, mit was man sich bei euch so herumschlagen muss!
Gibt es ne Belohnung, wenn man das widerlegt?
Was ist denn Willensfreiheit wert, Pi mal Daumen?
Gruß, crumar
achdomina sagte:
Das Problem mit natural born böswillig ist, dass es immer Möglichkeiten gibt, auseinanderzunehmen, was der andere gesagt hat. Besonders in einer Kommentardiskussion in einem Blog, wo nicht jeder Beitrag dreimal redigiert ist. Wenn ich jetzt wieder auf einer A4-Seite ausführe und rechtfertige, was ich gesagt und gemeint habe, und Du diese A4-Seite wieder nach möglichen Angriffsflächen abscannst, woraufhin ich wieder jedes einzelne Wort umständlich verteidigen muss, dann ist das in drei Tagen eine Vollzeitbeschäftigung für mich und in einer Woche nicht mehr ohne weitere Mitarbeiter zu bewältigen (grobe Schätzung).
Hervorhebungen von mir.
https://de.wikipedia.org/wiki/Determinismus
crumar sagte:
@LoMi
Ist ja bedrückend.
Ich dachte, bei euch wäre alles ganz anders.
Irgendwie hatte ich gehofft, bei euch sei der Taylorismus/Fordismus und die Spezialisierung der Spezialisierung nicht angekommen.
Vielleicht imaginiert man das „Reich der Freiheit“ aus diesem Grund immer ganz woanders hin, um dann zu Recht neidisch sein zu können. 😉
Dass ich „gender studies“ und Soziologie verwechsle kommt mir nicht in den Sinn.
Natürlich werden aber die lautstärksten Vertreter/innen einer Sache eher wahrgenommen und für das Ganze gehalten..
Ich habe die empirische Sozialforschung als seriöse Wissenschaft erfahren können und auch die qualitative Sozialforschung empfand ich als anregend.
Leider gab es nicht so richtig viele Menschen aus meinem Bereich, die ein Interesse daran haben oder hatten, mal über den Tellerrand zu schauen,
Das ist in der Szene der Informatik immer anders gewesen.
Anders herum ist mir noch nie so viel Feindseligkeit (bei gleichzeitiger Ahnungslosigkeit) gegenüber Naturwissenschaften entgegen geschlagen wie in Westdeutschland.
Ich habe das nie verstanden.
Aus meinem Familien- und Bekanntenkreis (Ex-DDR) sind viele Frauen Ings.
Das war nie ein Problem.
Da habe ich ernsthaft ein Problem zu verstehen, was überhaupt das Problem ist.
Schönen Gruß, crumar
crumar sagte:
@achdomina
Hallo noch einmal nach einem Wochenende ohne Internet.
Deine Empfindung, alles was ich sage, sei in bösartiger Absicht gegen dich gewendet speist sich wohl aus meiner letzten Woche „Punk“.
Dafür möchte ich mich ganz ernsthaft bei dir entschuldigen!
Ich merke außerdem, meine Referenzen sind leider so unbekannt, dass ich zitieren muss oder exzessiv Smileys setzen, um herauszustellen, dass eine folgende Passage nicht so ernst gemeint ist.
Im Einzelnen:
„Natural born bösartig“ persifliert den Filmtitel „Natural born killers“.
Dass Buch, das ich sehr gerne mochte und noch mag (s.o.) und der Ausdruck „Mach 2.0“ bezieht sich auf Lenins „Materialismus und Empiriokritizismus“ von 1908, In diesem kritisiert er im Wesentlichen philosophische Aussagen von Ernst Mach aus dem Jahr 1872.
Dieser war übrigens davor Ordinarius für Physik an der Universität Graz. 😉
Die Aussagen, bei denen ich meinte fulminante Ähnlichkeiten zu deinen zu entdecken findest du hier: http://www.trend.infopartisan.net/trd0212/Lenin_MaterialismusEmpiriokritizismus.pdf
In diesem Dokument sind es die pdf-Seiten 27-33.
Eine sehr gute Kritik am Lenin und einen (marxistischen) Blick auf die Leistungen Einsteins findest du hier:
http://www.marxismus-online.eu/display/dyn/x292ae6a6-3c5d-4710-8670-0ff19feb6f8f/content.html
Mit dem „Billiardkugel-Kausalitätsbegriff“, den du der Physik unterstellst habe ich aus zwei Gründen meine Probleme
1.Weil er ganz einfach falsch ist. Eine strenge Kausalität hast du nur beim *physischen* Kontakt zwischen der ersten und der zweiten Kugel. Bei jeder weiteren Kugel jedoch oder einer Kombination von Stößen mit Kugeln vermittelt über Banden war es das und es beginnt die Rechnung mit Wahrscheinlichkeiten.
Deshalb macht es in der realen Welt auch so einen Spaß, stundenlang Snooker-Live-Übertragungen zu sehen. 😉
2. Gerade ein Physiker wie Phillipp Frank hat mit und in seinem Buch „Das Kausalgesetz und seine Grenzen“ m.E. plausibel gezeigt, warum die Übertragung von Naturwissenschaft auf Sozialwissenschaft so schlicht nicht möglich, eben weil A0 in einer Gesellschaft nicht wiederherzustellen ist.
In meinen eigenen Worten formuliert findest du dies als Antwort auf man in the middle.
Ich habe keine Ahnung, warum du ein solches Bild der Physik hast, es scheint mir jedoch korrekturbedürftig zu sein.
Schönen Gruß und noch mal sorry, crumar
achdomina sagte:
Hallo Crumar,
sorry fürs späte Freischalten, ich war die Tage auch nicht so viel online. WordPress hat das vermutlich wegen der Links in die Moderation genommen.
Ich sehe hier wieder ein Missverständnis, weil ich Dir da gar nicht widerspreche. Ich mache der Physik keinen Vorwurf, sondern sage nur, dass das Billardkugelmodell, also das Anstoßen und In-Bewegung-Setzen fester Körper der paradigmatische Fall von Kausalität ist, gar nicht in erster Linie für Physiker, sondern für uns alle. Wie stellt man sich Kausalität vor? Ich denke, dies ist die klarste Vorstellung, die man davon haben kann, und davon eine Vorstellung zu haben macht auch Sinn, weil das Aufeinanderprallen von Körpern (haha) oder die Wirkung von bewegten Körpern aufeinander etwas ist, womit Menschen generell umgehen können müssen. Es gibt Wahrnehmungsexperimente mit Säuglingen, die darauf hindeuten, dass wir so eine Art Grundwissen über Mechanik mitbringen, was sich etwa darin zeigt, dass sie überrascht reagieren, wenn eine rollende Kugel einen festen Körper zu durchdringen scheint oder eben bei einem Billardkugel-Anstoß die zweite Kugel etwas anderes als das zu Erwartende tut (z.B.). Wenn es dann eine physikalische Wissenschaft gibt, kommt hinzu, dass sich solche Ereignisketten ziemlich exakt in Formeln abbilden und damit vorhersagen lassen, und exakte, formelhafte Abbildungen sind für Wissenschaftler nun mal attraktiv. Deshalb halte ich es auch nicht für einen Fehler, wenn sich Wissenschaftler an so einem Paradigma orientieren, aber sie sollten es eben nicht blind tun.
Hier die Willensfreiheitsdebatte aufzurollen würde wohl etwas zu weit führen. Aber ich finde, im Kern wird das Problem schon sichtbar, wenn man fragt, wie eine wissenschaftliche Erklärung für „Freiheit“ aussehen könnte, ob das nicht ein Widerspruch in sich ist, ob Freiheit mit Vorhersagbarkeit vereinbar ist, oder mit Naturgesetzlichkeit. Dass Physiker für manche Arten von Ereignissen ein hohes Maß von Vorhersagbarkeit erreicht haben, macht sie ja nicht zu Buhmännern, wenn daraus Probleme für die Idee der Willensfreiheit entstehen. Im Gegenteil, ihr Wissen macht ja auf ein interessantes und vielleicht wichtiges Problem aufmerksam. Wichtig ist es zumindest insofern, als unser Glauben an Freiheit oder eben ihr Fehlen Einfluss auf unsere Einschätzung unserer Möglichkeiten und Verantwortung, also unser Verhalten hat.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob/wann ich Zeit für die Dokumente habe, aber interessieren tät’s mich schon, also danke erstmal.
Viele Grüße!
crumar sagte:
@achdomina
Danke für den Link erst einmal, denn der ist ja hoch spannend!
Ich habe die Studie erst einmal überflogen und werde sie noch einmal ausdrucken und sorgfältig lesen.
Ich halte es für annehmbar zu formulieren, dass bestimmte Vorstellungen von einfacher Kausalität – im Sinne von Ursache > Wirkung – tatsächlich genetisch festgelegt sind.
Gerade wenn es sich um sich bewegende Objekte im Gesichtsfeld handelt.
Die *Motivation*, Aufmerksamkeit auf diese sich bewegenden Objekte zu richten scheint mir (evolutionär) sinnvoll zu sein (Identifikation von Gefahren, Erweckung von Neugier).
Was mit extrem aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass die Ergebnisse NICHT systematisch nach gender ausgewertet worden sind.
Es wird permanent von „infants“ geredet.
Nach meinen bisherigen Erfahrungen nimmt man „Kinder“ als Bezeichnung NUR, wenn die Ergebnisse „anrüchig“ sind.
D.h. ich unterstelle, die Auswertung nach Geschlecht wäre „nicht angemessen“ gewesen und ist deshalb unterblieben.
Kommst du irgendwie an die Rohdaten ran?
Aber das unter „Mechanik“ einzuordnen.
Na ja.
Ich werde einen 2-jährigen Jungen experimentell damit konfrontieren, dass alle seine Autos, die er durch die Gegend wirft auf einmal verschwinden.
Und zwar für immer.
Halte dich über das Experiment auf dem Laufenden!
Mal sehen, ob ihn irgendwelche Zweifel packen… 😉
Dann: weißt du, was mich bei meinem Job ankotzt?
Mich ständig dafür rechtfertigen zu müssen, dass er nicht den Vorstellungen der Allgemeinheit entspricht.
Die zudem noch die Idee hat, den Job würden Heinzelmännchen verrichten.
Oder durch die legendäre „Dienstleitungsgesellschaft“ ersetzt werden (was übrigens identisch ist).
Anyway.
Mein Punkt ist, Natur- und Sozialwissenschaften sind nicht vergleichbar.
Ich kann das Experiment nur deshalb wiederholen, weil ich die AUSGANGSBEDINGUNGEN (A0) des Experiments (beliebig) reproduzieren kann.
Eine Gesellschaft, die bspw. das Milgram-Experiment in der Schule behandelt kann das Experiment nicht wiederholen.
Da nützen die schönsten Formeln nichts.
Zeig den Schülern und Schülerinnen das Experiment und rede mit ihnen und das Teil ist (prognostisch) verbrannt.
Ich glaube nicht mehr, dass es eine Meta-Wissenschaft (aber gemeinsame wissenschaftliche Standards) geben kann, aber ich hab es mal geglaubt (das ist der Unterschied von der Wissenschaft DES Zusammenhangs und der Wissenschaft VOM Zusammenhang) m.E, haben die Feministinnen mich (im Grunde) beerbt in meiner Naivität.
Das ist doch der Clou m.E.,; sie versuchen den Genderismus als Meta-Wissenschaft zu etablieren.
So, das für heute Abend und ich bin schweinemüde und hoffe, ich habe deshalb nicht zu viele Fehler produziert.
Schönen Gruß, crumar
virtual-cd sagte:
@achdomina
Erst einmal: Vielen Dank für diesen Artikel und den darüber gegebenen Aufhänger zu wissenschaftstheoretischer und erkenntnistheoretischer Diskussion. Mein Dank gilt auch allen Mitdiskutanten – ich habe das alles mit viel Gewinn gelesen.
Ich möchte an einer – kleinen – Stelle meine 2 Cent „ins Moos krümeln“:
Du schreibst:
„Wenn wir Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften gegenüberstellen, dann liest man oft heraus, dass für das, was wir mit Naturwissenschaften meinen, die Mechanik das Modell ist. Aber ich glaube, es kommt der Sache näher, zu fragen, ob wir es mit komplexen Systemen zu tun haben oder nicht.“
Ich denke, dass wir in der Einteilung von Wissenschaften eigentlich von einer Dreigliedrigkeit und nicht nur einer Zweigliedrigkeit ausgehen sollten.
Meint: Es gibt nicht nur die Gegenüberstellung von Natur- und Sozialwissenschaften, sondern eher
* Naturwissenschaften (Physik, Biologie, Chemie, Geologie usw. und deren Derivate, nämlich die Ingenieurwissenschaften)
* Sozial- und Kulturwissenschaften (Soziologie, Geschichtswissenschaft, Kulturhistorik, Archäologie ect.)
* Geisteswissenschaften (Philosophie, Mathematik, Sprachwissenschaften, Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft, Religionswissenschaft und dergleichen)
Jede dieser Wissenschaften hat etwas anders gelagerte Evidenzkriterien. Und andere Denk-Paradigmen, andere ARTEN der Begriffsbildung. (Wobei es auf einer abstrakteren Ebene wieder Gemeinsamkeiten gibt – nämlich ÜBERHAUPT einen Gegenstandsbereich in mit methodischer Strenge explizierten Begriffen zu beschreiben, das scheint mir eine Kerndefinition von Wissenschaft zu sein, woran sich wissenschaftliches von unwissenschaftlichem scheidet. Was nebenbei nicht bedeutet, dass unwissenschaftliches damit schlecht oder wertlos wäre.)
Und dann kommt bei dir die Systemtheorie hinein, in die Argumentation. Mir scheint tatsächlich, eine systemtheoretische Perspektive (komplexe, dynamische, nicht deterministische Systeme) könnte das Potential haben, hier eine Art Meta-Bezugsrahmen für die Einordnung verschiedener wissenschaftlicher Gegenstandbereiche zu bilden. Die Gemeinsamkeit herauszuarbeiten ohne Leugnung der Unterschiede, die sich aus den betrachteten Realitätsausschnitten ergeben.
Aber gut, das ist jetzt nur so ein Gedanke, den ich gerade nicht ausführen kann.
Wie auch immer: Eine anregender Gedankenaustausch hier – vielen Dank an alle Beteiligten!
Kai sagte:
Hallo Achdomina,
erst einmal toller Blog!
Auch ich habe mit HD Bauchschmerzen und kann nicht verstehen warum er immer wieder unter Männerrechtlern verlinkt wird.
Es ist das eine mal in einem Kommentar (oder auch mal einem Blogeintrag) über die Strenge zu schlagen, weil man sich gerade aktuell Aufregt. Aber bei HD ist das leider Programm. Oftmals kommt er platt in Diskussionen rüber, man fragt nach, dann die Antwort, das würde alles in seinem Buch gross und breit erklärt… Jo, tolle Argumentation, tolle Antwort! Da weiss ich dann, ich brauche dieses Buch, unbedingt und in jedem Fall, nicht zu lesen, denn es kann nichts sein.
Aber es geht bei ihm ja nicht nur gegen Sozialwissenschaftler, er ist überheblich (besonders wenn er über andere Disziplinen pauschal urteilt obwohl er nur die rauspickt die ihn hier interessieren), nicht diskussionsfähig, rechthaberisch und in meinen Augen wird er auch bei diesem Gerichtsprozess vom Gericht sehr schnell in die Schublade „Q“ getreten und fertig. Das Pamphlet Klageschrift hätte er sich schenken können wenn es sein Ziel ist den Prozess zu gewinnen, sollte er nur die Richter ärgern wollen ist das natürlich so richtig. Ansonsten kann Herr Danisch ja mal die Statistik anwenden, die er als Informatiker gelernt haben sollte und sehen wie viel Gerichtsprozesse so ein Gericht hat und wie viel Zeit einem Richter zur „gerechten Lösungsfindung“ in einem Fall im Schnitt zur Verfügung steht. Wenn er dass dann in Relation zum Zeitaufwand bringt, denn das Lesen seiner Klageschrift benötigt, kann man dann die statistische Erfolgswahrscheinlichkeit ermitteln, die besteht das ein Richter seine Klageschrift liest und versteht… Wie man sich in „Q“ fühlt kann man an Mollath beobachten, der einfach nicht ernst genommen wurde. Hat Danisch eigentlich Mollath noch an Seiten überboten? Ich meine, nicht dass es wichtig ist, aber es zeigt das in die Klage investiertes Geld auf jeden Fall erst einmal keine sichere Bank ist…
Zu Deinem Text viel mir noch eine Aussage von Danisch ein (Gedächnistzitat): „Wirtschaftsinformatiker sind keine richtigen Informatiker, die würden sich die Firmen nur dann hohlen wenn sie einen richtigen Informatiker nicht bezahlen können.“ Das kam irgendwie in einer Diskussion um @schwarzblond, die ebenfalls NUR Wirtschaftsinformatik studiert hatte. Er mag die Ansichten eines Menschen nicht, also ist alles was dieser Mensch gelernt hat um diese dummen Erkenntnisse zu haben, ebenfalls dumm, denn sonst hätte er ja nicht solch dumme Erkenntnisse. Da nun mal Rosenbrock und Kemper Sozialdingens studiert haben, und DESHALB dumm argumentieren, ist natürlich Sozialdingens als Disziplin dumm…
Auf den Popcornpiraten war mal ein Post, als @achdomino (zufällige Namensähnlichkeit?) als Fake aufgeflogen ist, der ging ungef. so: Hoffentlich fliegt Danisch jetzt auch noch als Fake auf – BITTE! Leider tut er uns diesen Gefallen nicht, weshalb er und ich in den unendlichen Weiten dieses WWW nun genüsslich aneinander vorbeileben können… Er schreibt seinen Fanboys was, ich lese Genderama, Schoppe, Erzählmirnix, Achdomina etc. Aber was soll es, ich bin in seinen Augen halt auch nur Minderbemittelt, ich bin halt nur Informatiker…
Viel Erfolg noch für Deinen Blog, den ich regelmässig lese, aber nicht immer kommentiere. Mann muss ja nicht zu allem eine bessere Meinung haben 😉
Gruss
Kai
achdomina sagte:
Hey, danke! HD als Fake? Wenn da in Wirklichkeit eine Trollfeministin hinter steht, möchte ich die mal kennenlernen, die müsste dann wirklich schräg drauf sein 😀
@ochdomino hieß die. Ähnlichkeiten mit realen Personen sind rein zufällig, aber sie ist ja nicht real, also … 😉
derdiebuchstabenzaehlt sagte:
„Hoffentlich fliegt Danisch jetzt auch noch als Fake auf – BITTE! Leider tut er uns diesen Gefallen nicht,..“
Sagt der Persönlichwerder, während er sich über die persönlichen Angriffe von Anderen (hier HD) beschwert. Ich wundere mich doch manchmal wie wenig Doppelmoral manche zu stören scheint.
m sagte:
Zwischendrin mal etwas zum Schmunzeln: http://www.urbandictionary.com/define.php?term=Sociology&defid=3662176
^^
LoMi sagte:
Darüber kann ich nicht wirklich lachen. Die Soziologie befasst sich als Disziplin kaum wirklich dauerhaft mit dem „weißen Mann“ als Problem, noch ist das irgendwie ein Fachstandard. Es gibt wesentlich mehr Themengebiete in der Soziologie als nur „Gender“. Nur wenn man das nicht im Blick hat, kann man den Witz lustig finden. Es ist natürlich ein Fehler der Soziologie, dass nur derartige Extreme öffentlich sichtbar werden. Das enthebt aber andererseits niemanden aus der Verantwortung, sich ein eigenes Bild zu machen.
m sagte:
Hey, LoMi, lach mal wieder 😀
Luc sagte:
Ein paar Kommentatoren sprechen es am Rande bereits an und ich habe jetzt nicht alle Kommentare gelesen – deshalb verzeih wenn meine Ausführungen nicht neu sind. 😉
Du hast inhaltlich sicher recht damit, dass Danischs Ausführungen über Geisteswissenschaften oft grob vereinfachend sind. Das Problem ist auch aus meiner Sicht, dass dein Aufhänger nicht taugt (Nazisprech und Sperren) weil wohl die meisten Leser deine konkreten Beispiele sowie die (auf Twitter naturgemäß verkürzte) Schlussfolgerung Nazisprech nicht als stichhaltig empfinden und das meiner Meinung nach zu Recht. „Muss mal kräftig aufgeräumt werden“ ist kein Nazisprech, das kann ich auch über meine Wohnung sagen. Twitter verkürzt, das erwähnst du auch, aber so wie es da steht ist es eben nicht mehr rational als Argument nachvollziehbar. Dass sich Danisch den Rest dazu denken soll halte ich auch für problematisch. Wenn das Argument in seiner Gänze nicht auf 140 Zeichen passt müssen es eben zwei Tweets werden oder man verlegt sich zum Diskutieren gleich aufs Blog.
Zweitens, aber das will ich nur mal als Gedanken in den Raum stellen, habe ich selbts mich davon verabschiedet, gewisse Haltungen als „rechts“ zusammenfassend anzuprangern. Die Vokabel wird mittlerweile derart inflationär gebraucht, dass man umgekehrt erst einmal herausfinden muss, ob derjenige, der sie benutzt, noch argumentieren oder nur diffamieren will. Mein Eindruck ist, dass man sich auch gegenüber vielen gemäßigten Lesern dieses Problemfeld schafft, wenn man statt konkret „fremdenfeindlich“ unter „rechts“ zusammenfasst. Das ist aber wie gesagt nur ein Gedanke, den ich gerne zur Diskussion stelle.
Mein Vorschlag wäre, den Post ohne Aufhänger, einfach mit dem Schwerpunkt Wissenschafts- und Erkenntnistheorie als offenen Brief an Danisch zu reposten, weil es ja offenkundig um ihn geht und die direkte Auseinandersetzung wohl offener und damit konstruktiver wäre. Und Danisch auch in meinen Augen noch was lernen könnte. Ob das den Aufwand wert ist will ich dir nicht diktieren 🙂
elmardiederichs sagte:
„2+2 ist auch da oben vier. Und nach allem, was wir bisher wissen, gilt das auch im Rest unserer Galaxie.“
Diese Aussage von HD ist übrigens keineswegs richtig, wie folgender Text darlegt:
Oliver K sagte:
In seiner Hybris geht dieser Text ja noch ueber HD hinaus. So mal eben den „Platonismus“ in der Mathematik widerlegen. Und bezueglich Fachkenntnis, ich bin ja auch dafuer, dass jeder ueber alles diskutieren kann, es scheint mir aber doch eine gewisse Anmassung darin zu liegen, Eike Scholz in diesem Kontext(!) als „Mathematiker“ zu bezeichnen — da scheint der doch nichts veroeffentlicht zu haben, und ist wohl auch fachfremd (bzgl. Logik und Grundlagen der Mathematik): unter den Eike Scholzen, die ich im Internet finde, kommt http://www.who-is-hu.de/node/527?detail=wissenswertes am naechsten, oder?
In diesem Text wird ja schon vorausgesetzt, was erst „bewiesen“ werden soll, dass naemlich „Intuition“ die wirkliche Grundlage von Allem ist, und dann ist die Formalisierung natuerlich nie hinreichend, immer eine Illusion des Absoluten. Was aber jeder Mathematiker erfaehrt, ist dass die Intuition nie heranreicht an die Mathematik, dass unsere Fantasien immer armselige Abbildchen der mathematischen Wahrheit sind (dennoch sind Fantasien unumgaenglich — wie im Platonischen Triebwagen haetten wir ohne sie keinen Antrieb). Im Text sind (1) und (2) das mathematische Reale, waehrend (A) und (B) Beispiele(!) von Fantasien sind, die man dazu haben kann.
Hier nun meine philosophische Interpretation:
Mathematik ist die Erfahrung des „Realen“ im Lacanschen Sinne, des Absoluten, des unergruendlichen „Seinsgrundes“. Eben darum koennen wir heute Kant ueberwinden (eine zentrale Aufgabe!): es ist genau die Mathematik, die die direkte Erfahrung des „Dinges an sich“ ermoeglicht. Hier folge ich Badiou, und genau wie er glaube ich, dass dieses Neu-Denken von Mathematik auch zentral von politischer Bedeutung ist — nur so koennen wir die grasierende toedliche Verbindung von Neo-Klassissismus (Finitismus) und Nihilismus ueberwinden, wovon Feminismus eine wesentliche Variante ist (einerseits die endlichen Resourcen, die Welt als reproduktiver Kreislauf, andererseits romantischer Groessenwahn vom neuen Menschen).
Dein Text gibt meines Erachtens ein Beispiel von den vielen Varianten, in denen sich der Relativismus/Feminismus im Denken eingenistet hat (und genau deshalb ist er so erfolgreich).
elmardiederichs sagte:
>In seiner Hybris geht dieser Text ja noch ueber HD hi
naus.
Moral ist ein Problem von Handlungen, nicht von Texten. ich bringe Argumente und überlege. Da sind natürlich auch immer wieder Fehler drin, das kann ich schlecht vermeiden und es freut mich immer, wenn jemand mit mir darüber diskutiert. Aber dafür brauch ich auch ein wenig mehr Butter bei die Fische. 😉
>So mal eben den “Platonismus” in der Mathematik widerlegen.
Freges Platonismus in der Mathematik hat schon lange Probleme und von einer Widerlegung kann auch keine Rede sein. Ich zeige lediglich auf, die man das Problem mit einer gewissen Erfolgswahrscheinlichkeit angehen könnte. Das steht auch so explizit im Text.
Was Eike Scholz angeht, interessiert mich weniger, wer er ist, sondern mehr, was er sagt und solange das vernünftig ist, rede ich mit ihm.
„In diesem Text wird ja schon vorausgesetzt, was erst “bewiesen” werden soll, dass naemlich “Intuition” die wirkliche Grundlage von Allem ist“
Tut mir leid, aber das ist wirklich nicht die Aussage des Textes.
„und dann ist die Formalisierung natuerlich nie hinreichend, immer eine Illusion des Absoluten.“
Selbstverständlich ist der Artikel nicht formal. Das darf er auch nicht sein, denn ich versuche zu erklären, worauf der Formalismus beruht. Die etwas dunkle Formulierung von der Illusion des Absoluten ist mir irgendwie unklar geblieben, ich bin nicht sicher ob das zum, Text gehört.
„Mathematik ist die Erfahrung des “Realen” im Lacanschen Sinne, des Absoluten, des unergruendlichen “Seinsgrundes”.“
Das klingt sehr hübsch, aber warum sollen wir glauben, daß das richtig ist.
„Eben darum koennen wir heute Kant ueberwinden (eine zentrale Aufgabe!): es ist genau die Mathematik, die die direkte Erfahrung des “Dinges an sich” ermoeglicht.“
Also: Erst mal gibt es kein „Ding an sich“, sondern bei Kant nur „Dinge an sich selbst betrachtet“ und Kant war der Meinung, daß sie der Erkenntnis nicht zugänglich sind. Logik und – nach damaligem Verständnis, erst Russell zeigte, daß Logik allein zum Aufbau der Mathematik nicht ausreicht – auch Mathematik ist eine Sache der Urteilsformen, die wir nach Kant ebenfalls nicht hingehen können. Direkte Erfahrung gibt es seiner Ansicht gar nicht.
Man muß nicht Kants Meinung sein, aber wenn man erst mal ein paar zentrale Thesen gekauft hat (Anschauungslehre, Synthesis der Erfahrung, Urteilsformen etc.), dann ist es nicht so leicht, ihn von innen heraus zu widerlegen – und das scheinst du zu wollen. Nur ist mir hier noch nicht klar wie.
„Hier folge ich Badiou, und genau wie er glaube ich, dass dieses Neu-Denken von Mathematik auch zentral von politischer Bedeutung ist“
Vielleicht könntest du uns das genauer erklären oder ein Beispiel geben?
„nur so koennen wir die grasierende toedliche Verbindung von Neo-Klassissismus (Finitismus) und Nihilismus ueberwinden, wovon Feminismus eine wesentliche Variante ist“
Das klingt sehr theoretisch. Finitismus gibt es in der Mathematik, meinst du das? Eine Nihilismus sehe ich nicht und ich bin im Gegensatz zu dir schon der Meinung, daß jeder Feminismus in punkto Werte klar Positon bezieht. Bestimmte, dir vielleicht mehr zusagende Werte abzulehnen, ist nicht gleichbedeutend mit Nihilismus. Aber vielleicht verstehst du ja auch unter Nihilismus etwas anderes.
„einerseits die endlichen Resourcen, die Welt als reproduktiver Kreislauf, andererseits romantischer Groessenwahn vom neuen Menschen“
Ich würde hier eher von einer politischen Utopie sprechen, die natürlich – wie immer – good news und bad news mit sich bringt. Und natürlich ist sie in keinem Sinne umsonst. Es wäre interessant darüber zu reden, aber du mußt schon etwas präziser werden. Insbesondere sehe ich keinen offensichtlichen Brückenschlag zur Mathematik.
„Dein Text gibt meines Erachtens ein Beispiel von den vielen Varianten, in denen sich der Relativismus/Feminismus im Denken eingenistet hat (und genau deshalb ist er so erfolgreich).“
Ich gebe zu, daß weder mit Relativismus noch mit Feminismus viel anfangen, mit Naturalismus aber schon viel mehr. Vielleicht liegt dir der so schwer im Magen?
crumar sagte:
@Oliver
Bitte besorge dir doch bitte das Buch von Alan Sokal Jean Bricmont „Fashionable Nonsense“.
Vorinformationen hier:
http://en.wikipedia.org/wiki/Sokal_affair
Hier:
http://archiv.sicetnon.org/artikel/aktuelles/sokal.htm
Schöne Rezension (der Übersetzung) hier:
Was zum Spaß FÜR ALLE:
http://www.elsewhere.org/pomo/
Schönen Gruß, crumar
derdiebuchstabenzaehlt sagte:
Die Naturgesetze gelten nach allem was wir wissen sehr wohl für den Rest der Galaxie. Und darum ging es wohl.
LoMi sagte:
2+2= 4 ist kein Naturgesetz. Diese Aussage gilt nur innerhalb des Axiomensystems der Mathematik. Die Mathematik ist auch keine Naturwissenschaft. Sie befasst sich ja mit sich selbst und nicht mit irgendwelchen empirischen Objekten.
elmardiederichs sagte:
Nein, darum ging es nicht.
Wir sind im Moment vorsichtig optimistisch, daß unsere Physik nicht völlig falsch ist.
Aber Mathematik hat nichts mit Naturgesetzen zu tun, Mathe ist eine Geisteswissenschaft und es ging darum, ob sie eine universelle Sprache und überall im Universum gültig ist.
Ist sie nicht, lies den post.
Luc sagte:
Da will ich ddbz jetzt nicht zu nahe treten, aber die Chance, dass er das versteht, ist wohl eher gering. Was aber wohl genauso auf 90% aller anderen zutrifft, ich denke das ist dir klar Elmar? 🙂
Peter sagte:
Aber Mathematik hat nichts mit Naturgesetzen zu tun, Mathe ist eine Geisteswissenschaft und es ging darum, ob sie eine universelle Sprache und überall im Universum gültig ist.
Ist sie nicht, lies den post.
Da bin ich mir nicht so sicher. Am Anfang des Denkprozesses jedes intelligenten Wesens mit einiger geistiger Abstraktionsfähigkeit steht die Unterscheidung der Dinge, das Zählen ist eine logische Konsequenz davon (die Unterscheidung zwischen „viel“ und „wenig“) und die Strukturierung der Wahrnehmung in Kategorien (am Anfang wohl die Kategorien „Freund“ und „Feind“ sowie „Futter“ und „kein Futter“) ist überlebensnotwendig. Damit sind die Grundlagen für die Mathematik auch schon gegeben. Das heisst nun natürlich nicht, dass es nur eine einzige „richtige, universelle“ Mathematik gibt, die lediglich Naturgesetze in einer formalisierten Sprache abbildet. Es liesse sich sicher ohne weiteres eine Mathematik konstruieren mit einem Regelwerk, dass keinerlei Bezug zur Wahrnehmung hat.
elmardiederichs sagte:
@Luc:
Es gibt immer einen, der mich versteht. 😉
Pingback: Was können Biologisten? « jungsundmaedchen
elmardiederichs sagte:
Den wissenschaftstheoretischen Teil deiner Debatte mit HD, den Christian (EvoChris) hier
aufgegriffen hat, hab ich hier mal fortgesetzt:
http://jungsundmaedchen.wordpress.com/2013/11/29/was-konnen-biologisten/
Und mir scheint, daß EvoChris die schlechteren Argumente hat. 😉
James T. Kirk sagte:
@ Achdomina
Was du als Nazisprech bezeichnest, finde ich weithergeholt. Was ist denn an der Bezeichnung „politisch unkorrekte Blogs“ nicht okay? Das Volk kann man auch ruhig zum Aufwachen animieren. Oder soll man „die Bevölkerung“ sagen? Ich bin immer wieder irritiert über diese gewissermaßen politisch korrekte Hypochondrie, wie man sie bei einigen linken Männerrechtlern findet. Z.B. auch bei Leszek.
Es ist sehr bezeichnend, daß du den Ausdruck „Nazisprech“ benutzt. Du möchtest also andere Menschen verleumden. Deine Ausdrucksweise ist vielmehr problematisch. Ein klassischer tiefenpsycholgischer Umkehreffekt. Du kannst die monierte Sprache ja als polemisch oder problematisch bezeichnen, aber „Nazisprech“ wirkt auf mich sehr lächerlich.
achdomina sagte:
Habe zu allen diesen Fragen in der betreffenden Passage Stellung genommen. Aber dieser klassische tiefenpsychologische Umkehreffekt interessiert mich. Ich habe also beim Lesen des betreffenden Kommentars sofort gedacht „Nazisprech“, dann unbewusst gemerkt, dass diese Bezeichnung problematisch ist, und dieses Problematische auf den Kommentar projiziert? Aber wieso habe ich dann überhaupt „Nazisprech“ gedacht, wenn meine Wahrnehmung von etwas Problematischem erst mit dem Begriff „Nazisprech“ in die Welt kam? Ein Raum-Zeit-Paradoxon?
Unabhängig davon, was man unter „aufwachen“ versteht? Ohne mich.
Ich unterstelle „Sven“ jedenfalls keine Psychopathologien, Unaufrichtigkeit oder bösen Absichten so wie du mir. Ich sage nur, dass ich mit seinem politischen Standpunkt, wie er sich mir darstellt, nichts zu tun haben will.
Kann es nicht einfach sein, dass du seine Aussagen okay findest und ich nicht, ohne dass einer von uns beiden irgendwie lügt oder krank ist?
Bellator Eruditus sagte:
»… ohne entsprechende Ausbildung, im Alleingang nach Feierabend, eine bessere Sozialwissenschaft und Philosophie aus dem Ärmel schütteln kann als Jahrhunderte, im Fall der Philosophie Jahrtausende von darauf spezialisierten Denkern und Forschern vor ihm sie aufeinander aufbauend erarbeitet haben.«
Wo sollte daran das Problem sein? Die Philosophie ist eine (zugegeben Jahrtausende lange) Folge mehr oder weniger intelligenter Wortspiele und nach Nida-Rümelin (Philosoph) eine »Residualwissenschaft« die darüber spekuliert, was die Naturwissenschaften noch nicht versteht.
Den Sozialfächern kann ein Naturwissenschaftler nicht mal den Status einer Wissenschaft zuerkennen. Keine Überprüfbarkeit, methodisch extrem manipulierbar, keine einzige „Erkenntnis“, die nicht heftigst umstritten wäre. Wie Sie sicher wissen, heißen die Sozialfächer im Englischen folgerichtig nicht mal »science« sondern »humanities«.
»bezweifle, dass jede Diplomarbeit in Mathematik, Informatik usw. Gold ist«
Es gibt sicher auch in den Naturwissenschaften einzelne Ausreißer. Dieses Problem kann man aber keinesfalls mit der breiten Front der methodisch fragwürdigen Veröffentlichungen in den Sozialfächern gleichsetzen.
Ich würde Ihnen das Buch „Betrug und Selbstbetrug“ von Robert L. Trivers nahelegen (http://www.heise.de/tp/artikel/30/30680/1.html und http://www.heise.de/tp/artikel/39/39518/1.html).
Zu Ihren habituellen Nazi-Gleichsetzungen und der Diagnose von „Hass“ bei Danisch, hätte ich aus diesem Buch gleich noch ein Zitat zu bieten: „In den Vereinigten Staaten bestehen die meisten anthropologischen Institute aus zwei völlig getrennten Abteilungen, wobei, wie ein Biologenkollege es formulierte, ‚die uns für Nazis und wir sie für Idioten halten‘.“.
crumar sagte:
@Bellator Eruditus
Fangen wir doch an mit der Kritik des vorgeschlagenen Buches bei amazon:
„Alle Sozialwissenschaftler sind in seinen Augen irregeleitete arme Tröpfe, die sich zudem standhaft weigern, die Biologie als Leitwissenschaft anzuerkennen. Ob Psychologen, Soziologen oder Ökonomen, alle betreieben nur Wortspielereien und entwickeln Theorien, die keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit haben.
Wenn Trivers dann daran geht aufzuzeigen, wie sie seiner Meinung nach aussehen sollte, die Verankerung in der Biologie, dann wird es fast peinlich.“
Die Bewertung des Buches ergibt DREI Sterne von fünf und zwar von allen Rezensenten gleichermaßen.
Was Sie hier empfehlen ist ein Werk, dass durchgängig mittelmäßige Bewertungen erhält.
Die oben zitierte Kritik schließt so:
„Das Buch bekommt noch 3 Punkte, weil die Grundthese einleuchtend ist, und weil in den ersten sieben, acht Kapiteln (von 14) manche interessante Sachen stehen, die der Autor leider ziemlich uninspiriert und auch zusammenhanglos präsentiert. Leider sind die letzten Kapitel nicht nur unbrauchbar, sie haben bei mir sogar den Verdacht genährt, dass Trivers doch nicht das große intellektuelle Licht ist, für den viele ihn halten (und er sich selbst vor allem, denn der selbstverliebte Ton, mit dem er allzu viele Anekdoten aus seinem Leben erzählt, macht das auf unangenehme Weise deutlich.)“
Was für mich ein Hinweis darauf ist, dass sich da jemand angestrengt hat, sich fachfremd auszutoben und sich am Anspruch gewaltig überhoben hat.
Ich habe noch nicht einmal etwas gegen den *Anspruch*, diese oder jene Wissenschaft sei als neue „Leitwissenschaft“ zu sehen.
Das Problem ist jedoch, wenn der Anspruch in der Praxis (s.o.) – denn genau da hat er sich meines Erachtens zu beweisen – kläglich scheitert.
Und noch viel schlimmer: wenn die Apologeten eben dieses Anspruchs die einzigen sind, die ihr offensichtliches Scheitern nicht zur Kenntnis genommen haben.
Wenn Sie nun mit so einem Satz hier auftauchen:
„Den Sozialfächern kann ein Naturwissenschaftler nicht mal den Status einer Wissenschaft zuerkennen.“, dann möchte ich noch einen weiteren Stern abziehen.
Denn selbst der Begriff „Sozialfächer“ wird von google nicht gefunden.
Ich kann also über die Wissenschaftlichkeit der „Sozialfächer“ mit Ihnen gar nicht reden, weil Sie der einzige sind, der diesen Begriff verwendet.
Eine solche Exklusivität bedeutet in der Regel, es handelt sich um einen frei erfundenen Quark.
Und einen weiteren Abzug gibt es dann hierfür:
„Wie Sie sicher wissen, heißen die Sozialfächer im Englischen folgerichtig nicht mal »science« sondern »humanities«.“
0,18 Sekunden Suche ergaben ungefähr 1.750.000.000 Ergebnisse, an erster Stelle:
http://en.wikipedia.org/wiki/Social_science
Da ich mich selber beruflich in den (wie Sie sagen würden) „Technikfächern“ betätige, wehre ich mich gegen den Eindruck, wir (Ingenieur- und Naturwissenschaftler) würden arrogant, aber völlig inkompetent Sozialwissenschaftler kritisieren.
MIR ist das nämlich peinlich.
Und ich schäme mich für Menschen wie Danisch und Sie, die völlig ahnungslos, ignorant und substanzlos andere Menschen, die in einer anderen Wissenschaft arbeiten abwerten.
Das ist in meinen Augen nicht nur menschlich schäbig, sondern SIE blamieren uns damit bis auf die Knochen.
MfG, crumar
Bellator Eruditus sagte:
@crumar
> Fangen wir doch an mit der Kritik des vorgeschlagenen Buches bei amazon:
Ich habe das Buch selbst gelesen, muss mir folglich meine Meinung nicht von irgendwelchen Amazon-Rezensenten bilden lassen.
> Was für mich ein Hinweis darauf ist, …
Was für mich ein Hinweis darauf ist, dass Sie gerne mal über etwas schreiben, von dem Sie, mangels Ahnung, besser schweigen würden.
> Sozialfächer
Stimmt, dieses Wort habe ich für diesen Beitrag erfunden. „Wissenschaften“ kann ich die Laberfächer nicht nennen und „Laberfächer“ erschien mir etwas …äh… undiplomatisch.
> http://en.wikipedia.org/wiki/Social_science
Wer Wikipedia als Quelle nennt, hat schon verloren (außer natürlich beim Niveau-Limbo), denn wenn Sie mir ein bisschen Zeit geben, finden Sie in Wikipedia auch einen Eintrag über 30cm große, rosa Elefanten die Boogie-Woogie tanzen.
Bis dahin zitiere ich mal aus dem Oxford English Dictionary: »(humanities) learning concerned with human culture, especially literature, history, art, music, and philosophy.« oder dem Merriam-Webster: »the branches of learning (as philosophy, arts, or languages) that investigate human constructs and concerns as opposed to natural processes (as in physics or chemistry)« oder erinnere an Steven Pinker, der „digital humanities“ fordert.
> Und ich schäme mich für Menschen wie Danisch und Sie, die völlig ahnungslos, ignorant
> und substanzlos andere Menschen … abwerten
Sagt jemand, der Bücher verreißt, die er nicht gelesen hat, Wikipedia für zitierfähig hält und die unbestrittene Fachsprache nur mangelhaft beherrscht.
> die in einer anderen Wissenschaft arbeiten abwerten.
Haben Sie überlesen, dass ich den „humanities“ nicht den Status einer „science“ zubillige oder sind Ihnen meine Argumente (Manipulierbarkeit, keine Vorhersagbarkeit, keine Erkenntnisse) entgangen?
> sondern SIE blamieren uns damit bis auf die Knochen.
Tragen Sie es mit Fassung. Ich denke nicht, dass es ein nicht-triviales „uns“ gibt, das Sie und mich umfasst.
crumar sagte:
@BE
Webster (1994, 977) – liegt aufgeschlagen vor mir:
„social science“
1: a science (as psychology or sociology) that deals with the institutions und functioning of human society and with the interrealtionships of individuals as members of society
2: a science (as economics) dealing with a particular phase or aspect of human society
Hört sich für mich nach dem Gegenteil von dem an, was Sie oben und hier behaupten:
„Wie Sie sicher wissen, heißen die Sozialfächer im Englischen folgerichtig nicht mal »science« sondern »humanities«.“
Lügen verdirbt den Charakter – am besten Sie hören ganz schnell damit auf.
Luc sagte:
@Crumar: Mit BE ernsthaft diskutieren zu wollen ist auf so vielen Ebenen fruchtlos, das findet man nur ganz selten. Der Mann ist eine einzige intellektuelle Bankrotterklärung, hält korrekte Rechtschreibung gepaart mit blumigen Metaphern bereits für den Ausweis von Genialität und ist sich generell für keinen pseudorhethorischen Kniff zu schade, wenn es darum geht, fernab jeder sachlichen Auseinandersetzung sein Selbstbild der hellsten Kerze auf der Torte zu verteidigen. Entschuldigung an den Blogherrn für die deutlichen Worte.
Bellator Eruditus sagte:
> Hört sich für mich nach dem Gegenteil von dem an, was Sie oben und hier behaupten
1. http://www.oxforddictionaries.com/definition/english/humanity?q=humanities#humanity__6
2. http://www.merriam-webster.com/dictionary/humanities
3. http://www.newrepublic.com/article/114127/science-not-enemy-humanities
Zum restlichen Niveau-Limbo spare ich mir jeden weiteren Kommentar.
crumar sagte:
@Luc
Ich sehe schon, es führt zu nichts.
Vielen Dank für die Warnung trotzdem!
Schönen Gruß, crumar
achdomina sagte:
> Ich habe das Buch selbst gelesen, muss mir folglich meine Meinung nicht von irgendwelchen Amazon-Rezensenten bilden lassen.
Sie bilden sich Ihre Meinung über z.T. Jahrtausende alte, umfassende und diverse Wissenschaftstraditionen anhand eines einzigen meinungsstarken Buches. Es lässt sich bestimmt auch ein Buch anführen, demzufolge der Mensch von 30cm großen, rosa Elefanten abstammt, die Boogie-Woogie tanzen. Und allen, die das Buch nicht gelesen haben, kann man dann vorhalten, dass sie keine Ahnung haben. So macht man das als Mann der Wissenschaft.
Es hat niemand behauptet, dass es den Begriff „Humanities“ nicht gebe. Crumar zitiert (unter Zillionen anderen Fundstellen) Wikipedia, um zu zeigen, dass es den Begriff „social science“ gibt. Selbstverständlich kann man Wikipedia zitieren, um zu zeigen, dass es einen Begriff gibt, und sei es nur, weil man dort als Einstieg eine Liste einschlägiger Literatur findet. Es gibt noch etwas zwischen Quelle für 100% Fakt und Wahrheit halten und Quelle ignorieren. Bitte lassen Sie die Hütchenspielertricks. Ihr letzter Linkspam-Kommentar ist komplett überflüssig.
> Haben Sie überlesen, dass ich den “humanities” nicht den Status einer “science” zubillige oder sind Ihnen meine Argumente (Manipulierbarkeit, keine Vorhersagbarkeit, keine Erkenntnisse) entgangen?
Das sind keine Argumente, das sind Behauptungen. So wie Sie auf meine Frage, wie es möglich sein soll, dass Tausende Denker über Jahrtausende nur Mist gebaut haben und plötzlich ein einzelner Informatiker das alles viel besser kann, antworten: Weil die über Jahrtausende nur Mist gebaut haben! „Es ist so, weil es so ist“, ist keine Erklärung und auch kein Beweis dafür, dass es so ist.
In Anbetracht Ihres Standpunkts ist es schon interessant, dass Sie Ihre Behauptungen auf die Autorität ausgerechnet eines (in wissenschaftshistorischem Maßstab marginalen) Philosophen stützen. Also die anderen schwafeln nur und haben statt Erkenntnissen nur Meinungen, aber was dieser eine sagt ist plötzlich die unumstößliche Wahrheit? Womit hat er das verdient?
> Den Sozialfächern kann ein Naturwissenschaftler nicht mal den Status einer Wissenschaft zuerkennen.
Newton und die Philosophie:
http://plato.stanford.edu/entries/newton-philosophy/
Einstein und die Philosophie:
http://plato.stanford.edu/entries/einstein-philscience/
Heisenberg und die Philosophie:
http://cibis.de/2013/11/werner-heisenberg-physik-philosophie/
Sie sprechen nicht für die Naturwissenschaften/-schaftler. Sie haben einfach irgendein reißerisches Buch gelesen. Herzlichen Glückwunsch.
Wenn Sie außer Ihrer Meinung und Ihrer Galle, die ja jetzt beide angekommen und dokumentiert sind, nichts anzubieten haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie hier nicht mehr kommentieren würden.
LoMi sagte:
Die zentrale Frage ist bei den „Laberfächern“ eigentlich nicht, ob sie schon funktionierende Theorien und Methoden haben. Alle Wissenschaft fängt klein an. Die Frage ist, ob der Versuch unternommen wird, einen Gegenstand methodisch und intersubjektiv nachvollziehbar zu bearbeiten. Das ist in der Philosophie oder in der Soziologie nicht ganz leicht. Die Fehlerquote ist entsprechend hoch. Aber manch Naturwissenschaftler hat leicht lachen, da sich seine Gegenstände nun einmal an die Naturgesetze halten. Das tun Menschen nicht. Es ist schwerer, saubere Theorien zu entwickeln über das menschliche Handeln. Wer wirklich Wissenschaftsethos in sich trägt, würde diese Mühen respektieren, anstatt auf Fehlern herumzureiten.
Deine Liste der philosophierenden Physiker ließe sich noch um Erwin Schrödinger vervollständigen. Und durch Leibnitz sowieso.
crumar sagte:
@Lomi
Ich verstehe euer mangelndes Selbstbewusstsein als Sozialwissenschaftler nicht.
Du schreibst:
„Das ist in der Philosophie oder in der Soziologie nicht ganz leicht. Die Fehlerquote ist entsprechend hoch.“
„Nicht ganz leicht“ ist schamlos untertrieben.
Und das in mehrfacher Hinsicht und ich verstehe nicht, wieso du so defensiv vorgehst.
„Aber manch Naturwissenschaftler hat leicht lachen, da sich seine Gegenstände nun einmal an die Naturgesetze halten. Das tun Menschen nicht.“
Zunächst sind m.E. „Naturgesetze“ und „Gesetze menschlichen Handelns“ oder „Entwicklungsgesetze der Gesellschaft“ einfach grundverschiedene Dinge sind, die sich nur den Begriff teilen.
Das von Newton entdeckte Gravitationsgesetz hat im Prinzip (in Anerkennung seiner Fehler und Grenzen) seine Gültigkeit behalten – hingegen wäre jedes formulierte Gesetz, welches 1686 menschliches Handeln beschrieb und damit prognostizieren wollte, heute hinfällig.
Wer wollte das bestreiten?
Mit der Entwicklung der Gesellschaft ist ebenfalls hinfällig, das selbst der vor z.B. dreißig Jahren untersuchte Gegenstand – nämlich die Gesellschaft – noch identisch ist mit dem heute vorfindlichen.
Und selbst Marx urteilte über die ökonomische Basis einer Gesellschaft, sie sei „in letzter Instanz“ entscheidend für die gesellschaftliche Entwicklung.
Der schöne Charme des physikalischen Experiments besteht aber daraus, dass der untersuchte Gegenstand nach dem identischen Zeitraum identisch ist.
Und von Naturgesetzen erwarten wir, sie wirken unmittelbar und reproduzierbar und nicht erst „in letzter Instanz“.
Es wäre saublöd, wenn bspw. das zu untersuchende PVC sich auf einmal entscheiden würde, das sei alles „unökologische Kackscheiße“ und hätte sich in PLA verwandelt.;)
Die Reproduktion der Ausgangsbedingungen eines Experiments – ist m.E. in den Sozialwissenschaften schwer zu machen.
Dann: der untersuchte physikalische Gegenstand hat kein Bewusstsein seiner selbst und entwickelt sich demnach durch die Lektüre seiner Eigenschaften nicht weiter.
Wenn sich aber unsere Diskussion hier über Wissenschaft und Erkenntnis dreht, dann ist es schwer möglich diese anders zu führen, als sein eigenes Verhältnis zu den Themen zu reflektieren und ggf. weiter zu entwickeln. Ein beim nächsten Mal zu genau dem gleichen Thema geführte Diskussion würde jedoch sehr wahrscheinlich anders verlaufen.
Genau aus DIESEN Gründen:
„Es ist schwerer, saubere Theorien zu entwickeln über das menschliche Handeln.“
Und diesem hier:
„Wer wirklich Wissenschaftsethos in sich trägt, würde diese Mühen respektieren, anstatt auf Fehlern herumzureiten.“
Schließe ich mich an.
Schönen Gruß, crumar
LoMi sagte:
@Crumar
„Ich verstehe euer mangelndes Selbstbewusstsein als Sozialwissenschaftler nicht.“
Das kommt wohl missverständlich rüber. Natürlich kämpft unsereins mit Schwierigkeiten, vor allem mit mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung. Grundsätzlich ist es aber nicht so, dass Soziologen zu wenig Selbstbewusstsein haben. Im Gegenteil, eigentlich haben wir doch schon ein Bewusstsein von der Leistungsfähigkeit des Faches.
Es gehört aber zur soziologischen Kultur dazu, skeptisch zu bleiben. Diese Skepsis wirkt vermutlich oft defensiv. Aber Du hast ja schon auf zentrale Unterschiede zwischen Natur- und Sozialwissenschaften hingewiesen. Menschen handeln in Grenzen willensfrei. Sie interpretieren ihre Welt und geben ihr Bedeutung. Die Gesellschaften verändern sich. Allgemeingültige, zeitlose Aussagen sind daher schwer zu treffen. Folglich muss ein Soziologe skeptisch bleiben, damit er in der Lage bleibt, seine Theorien den aktuellen Entwicklungen anzupassen. Auch ist Skepsis nötig, sowohl gegenüber eigenen als auch fremden Theorien, weil die Soziologie wohl immer mit einem Theorienpluralismus leben muss.
Das Problem des Feminismus ist ja, dass ihm die Skepsis fehlt und dass er sich nicht vorstellen kann, sowohl in seinen Prämissen als auch in seinen Behauptungen über die Wirklichkeit zu irren. An diesem Punkt verabschiedet er sich aus der Wissenschaft. Der Feminismus lässt sich nicht irritieren. Forschung lebt aber von der Irritation, besonders in der Soziologie.
Wenn ich von Wissenschaftsethos sprach, meine ich, dass die Freude an systematisch gewonnener Erkenntnis und die Faszination wissenschaftlicher Fragestellungen nicht an Disziplinen gebunden sind.
Ich werde nie ein Physiker werden. Aber ich finde Physik trotzdem faszinierend, ich finde Geschichte faszinierend, Biologie, Medizin, whatever. Ich mag einfach Wissenschaft an sich. Mein Verständnis von Wissenschaft ist nicht gleichgesetzt mit dem Verständnis meiner Disziplin. Ich habe schon ein allgemeines Verständnis von Wissenschaft, das zugleich anerkennt, dass es zwischen Natur- und Sozialwissenschaften prinzipielle Unterschiede gibt. Aus diesem allgemeinen Verständnis heraus ist es bloß ein Zufall, dass ich Soziologe bin. Das Leben ist halt zu kurz. Wäre es das nicht, könnte ich mir auch vorstellen, noch andere Fächer zu studieren. Ich kann die armen Leute nicht verstehen, die diesen Blick über den Tellerrand nicht machen.
crumar sagte:
@Lomi
Du schreibst: „Natürlich kämpft unsereins mit Schwierigkeiten, vor allem mit mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung. Grundsätzlich ist es aber nicht so, dass Soziologen zu wenig Selbstbewusstsein haben. Im Gegenteil, eigentlich haben wir doch schon ein Bewusstsein von der Leistungsfähigkeit des Faches.“
Dann würde ich das trennen.
Nämlich die mangelnde gesellschaftliche Anerkennung von der eigenen Überzeugung von der Leistungsfähigkeit des Fachs.
Das sind in meinen Augen zwei verschiedene Dinge.
Genau deshalb und trotz alledem würde ich mich gegen die Danischs dieser Welt wehren – das hat achdomina getan und das war richtig.
Das hier: „Die Gesellschaften verändern sich. Allgemeingültige, zeitlose Aussagen sind daher schwer zu treffen. Folglich muss ein Soziologe skeptisch bleiben, damit er in der Lage bleibt, seine Theorien den aktuellen Entwicklungen anzupassen.“ müssen m.E. Naturwissenschaftler als Unterschied begreifen.
Eine ahistorische Gesellschaft ist keine Gesellschaft und Theorien über Gesellschaft müssen sich den rasant verändernden Entwicklungen rasant anpassen.
Diesem *Zwang* sind in diesem Umfang Naturwissenschaften *nicht* ausgesetzt.
Das würde ich jedoch als eure, deine USP etwas stärker herausstellen. 😉
Deine Skepsis als Grundhaltung ist richtig und die teile ich, nur bist du sicherlich im Stande das zu skizzieren, was bei uns „Stand der Technik“ heißt.
Und einen „hype“ von echter Entwicklung zu trennen.
So what? Reicht doch. Diesen Satz hier:
„Das Problem des Feminismus ist ja, dass ihm die Skepsis fehlt und dass er sich nicht vorstellen kann, sowohl in seinen Prämissen als auch in seinen Behauptungen über die Wirklichkeit zu irren. An diesem Punkt verabschiedet er sich aus der Wissenschaft. Der Feminismus lässt sich nicht irritieren. Forschung lebt aber von der Irritation, besonders in der Soziologie.“ möchte ich mir gerne von dir ausleihen (darf ich?) und schlage vor, ihn in Stein zu meißeln.
Und m.E. führt genau diese Einstellung, die dieser (!) Feminismus als Wissenschaft an den Tag legt zu gesellschaftlichen und individuellen *Haltungen*, die absolut schädlich sind. Beispiel: In meinem Job starte ich mit 50 Thesen (ich vergleiche das mal) über und für ein Produkt (ich entwickle Sachen zum anfassen. Iiiiih, unmodern ;)), von denen nach einer Woche evtl. noch 5 leben. Wie oft habe ich am Abend eine Problemlösung erdacht und konnte mir (oder ein anderer Mensch) am nächsten Morgen beweisen, die war Mumpitz.
Scheitern ist meine Normalität und Frustrationstoleranz eine, meine Tugend.
Wer sich aber gegenüber praktischer Kritik abschirmt und auch Selbstkritik vermeidet, der suhlt sich über kurz oder lang in seiner völlig irrealen Großartigkeit.
Hätte ich nun eine Kollegin, die bereits den ersten eigenen Entwurf für grandios hielte, bei der ersten Kritik schmollte und die fünfte zum Anlass nähme, mich als „frauenfeindlich“ zu denunzieren, dann hätte ich ein echtes Problem.
Dass Frauen, die solch einen Feminismus verbreiten (siehe Hanna Rosin) nachfolgend Mädchen mit der Haltung der eigenen, voraussetzungslosen, biologisch bedingten „grandiosity“ versehen, halte ich für einen unverantwortlichen und unverzeihlichen Fehler. Denn die werden dann – allein um das kultivierte Selbstbild aufrecht zu erhalten – alle Berufe und Wissenschaften meiden, die ihnen schnellstens das Gegenteil aufzeigen könnten.
Eine solche Erklärung für den „backlash“ in den Mint/Stem-Fächern ist bestimmt unpopulär, denn dann wäre das Scheitern selbst organisiert. 😉
Abschließend: „Wenn ich von Wissenschaftsethos sprach, meine ich, dass die Freude an systematisch gewonnener Erkenntnis und die Faszination wissenschaftlicher Fragestellungen nicht an Disziplinen gebunden sind.“
Right on!
Schönen Gruß, crumar
achdomina sagte:
Zur Info: Bellator Eruditus hat sich gerade ein weiteres Mal und heftiger als zuvor hier übergeben und ist jetzt gesperrt.
LoMi sagte:
@crumar
“ möchte ich mir gerne von dir ausleihen (darf ich?)“
Nur zu!
“ In meinem Job starte ich mit 50 Thesen (ich vergleiche das mal) über und für ein Produkt (ich entwickle Sachen zum anfassen. Iiiiih, unmodern ;)), von denen nach einer Woche evtl. noch 5 leben. Wie oft habe ich am Abend eine Problemlösung erdacht und konnte mir (oder ein anderer Mensch) am nächsten Morgen beweisen, die war Mumpitz.
Scheitern ist meine Normalität und Frustrationstoleranz eine, meine Tugend.“
Das kommt mir bekannt vor. Zumindest meine bescheidende Erfahrung mit empirischer Sozialforschung zeigte, dass die Vorannahmen immer gekippt worden sind und dass am Ende doch was ganz anderes als erwartet rauskam. Was auch schön ist, weil man dann auch das Gefühl hat, etwas zu entdecken. Bei feministischer Forschung habe ich das Gefühl, dass man deren „Ergebnisse“ eigentlich schon lange vor Forschungsbeginn vorhersagen kann.
crumar sagte:
@Lomi
Danke!
„Das kommt mir bekannt vor. Zumindest meine bescheidende Erfahrung mit empirischer Sozialforschung zeigte, dass die Vorannahmen immer gekippt worden sind und dass am Ende doch was ganz anderes als erwartet rauskam. Was auch schön ist, weil man dann auch das Gefühl hat, etwas zu entdecken.“
Zumindest das ist natürlich volle Kanne privilege und das prangere ich an! 😉
„Bei feministischer Forschung habe ich das Gefühl, dass man deren “Ergebnisse” eigentlich schon lange vor Forschungsbeginn vorhersagen kann.“
Yo. Ich würde sogar sagen, man kann auch darauf wetten.